Neue medizinische Anforderungen an die Fahrzeuglen...
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Strafrecht

Neue medizinische Anforderungen an die Fahrzeuglenker

Am 1. Juli 2016 tritt ein neuer Teil des Massnahmenpakets "Via Sicura" zur Verbesserung der Verkehrssicherheit in Kraft. Dieser beinhaltet die Anpassung der medizinischen Mindestvoraussetzungen an Fahrzeuglenker und neue Anforderungen an die Ärzte, welche Fahreignungsuntersuchungen durchführen.

Medizinische Mindestanforderungen

Die medizinischen Mindestanforderungen für das Führen eines Fahrzeugs werden an den heutigen Stand der Wissenschaft und Technik angepasst. Neu werden die Fahrzeugführer in zwei statt der bisherigen drei Gruppen eingeteilt, für welche unterschiedliche medizinische Anforderungen gelten:

Gruppe 1:   Führerausweis-Kategorien A und B, Führerausweis-Unterkategorien A1 und B1, Führerausweis-Spezialkategorien F, G und M

Gruppe 2:   Führerausweis-Kategorien C und D, Führerausweis-Unterkategorien C1 und D1, Bewilligung zum berufsmässigen Personentransport, Verkehrsexperten, Fahrlehrer

Folgende wesentliche Punkte (nicht abschliessend) ändern sich auf den 1. Juli 2016 (vgl. Anhang 1 der VZV):

  • Für die Erlangung eines Führerausweises gilt keine Mindestkörpergrösse mehr. Bis anhin galt für Lastwagenchauffeure eine Mindestkörpergrösse von 1.55 m und für Carchauffeure eine von 1.60 m.
  • Die Werte der Sehschärfe müssen der Fahrzeugführer der Gruppe 1 für das bessere Auge neu 0.5 (früher 0.6) und für das schlechtere Auge 0.2 (früher 0.1) betragen. Bei Einäugigkeit muss die Sehschärfe 0.6 betragen. Für Fahrzeugführer der Gruppe 2 gelten die Werte von 0.8 für das bessere Auge und 0.5 für das schlechtere Auge (früher 0.8 / 0.8 oder 1.0 / 0.6 für Lastwagenchauffeure und 1.0 / 0.8 für Carchauffeure).
  • Das Gesichtsfeld der Fahrzeugführer der Gruppe 1 muss 120 Grad (früher 140 Grad), dasjenige derjenigen der Gruppe 2 140 Grad betragen (früher war keine Einschränkungen des Gesichtsfeldes zulässig).
  • Hinsichtlich des Stereosehens bestehen keine Mindestanforderungen mehr.
  • Auch hinsichtlich des Hörvermögens bestehen für die Fahrzeugführer der Gruppe 1 keine Mindestanforderungen mehr. Bei den Fahrzeugführern der Gruppe 2 gilt eine Hörweite für Konversationssprache von beidseitig 3 m (früher bei Carchauffeuren 8 m), resp. 6 m bei einseitiger Taubheit.
  • Hinsichtlich Alkohol, Betäubungsmittel und psychotrop wirksamen Medikamenten, organisch bedingten Hirnleistungsstörungen (wie bspw. Demenz) sowie Stoffwechselerkrankungen (z.B. Diabetes) gab es bis anhin keine ausdrücklich formulierten medizinischen Mindestanforderungen. Neu wurden diesen Bereich betreffende medizinische Mindestanforderungen im Anhang 1 der VZV formuliert und die bisherigen medizinischen Mindestanforderungen detaillierter definiert. Von allgemeinem Interesse mögen die folgenden drei Punkte sein:
  • Alkohol, Betäubungsmittel und psychotrop wirksame Medikamente: Bei den Fahrzeugführern der Gruppe 1 dürfen keine Abhängigkeit und kein verkehrsrelevanter Missbrauch vorhanden sein. Bei Fahrzeugführern der Gruppe 2 darf zusätzlich keine Substitutionstherapie vorliegen.
  • Organisch bedingte Hirnleistungsstörungen: Bei Fahrzeugführern der Gruppe 1 dürfen keine Krankheiten oder organisch bedingte psychische Störungen mit bedeutsamer Beeinträchtigung von Bewusstsein, Orientierung, Gedächtnis, Denkvermögen, Reaktionsvermögen oder andere Hirnleistungsstörung, keine manische oder erhebliche depressive Symptomatik, keine verkehrsrelevante Verhaltensstörung und keine Beeinträchtigung von verkehrsrelevanten Leistungsreserven vorliegen. Bei Fahrzeugführern der Gruppe 2 dürfen keine Krankheiten mit Beeinträchtigung der Hirnleistungsfähigkeit und keine organisch bedingten psychischen Störungen vorhanden sein.
  • Stoffwechselerkrankungen: Bei Fahrzeugführern der Gruppe 1 muss bei Vorliegen einer Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) eine stabile Blutzuckereinstellung ohne verkehrsrelevante Unter- oder Überzuckerungen bestehen und es dürfen keine anderen Stoffwechselerkrankungen mit bedeutsamen Auswirkungen auf die Fähigkeit zum sicheren Führen eines Motorfahrzeugs vorliegen. Für Fahrzeugführer der Gruppe 2 gilt: Bei Vorliegen einer Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus), bei der als Therapie-Nebenwirkung eine Unterzuckerung auftreten kann oder bei der Allgemeinsymptome einer Überzuckerung vorkommen können, ist die Fahreignung für die Kategorie D oder die Unterkategorie D1 ausgeschlossen. Für die Kategorie C oder die Unterkategorie C1, für die Bewilligung zum berufsmässigen Personentransport sowie bei Verkehrsexperten kann die Fahreignung unter besonders günstigen Umständen gegeben sein. Darüber hinaus dürfen keine anderen Stoffwechselerkrankungen mit Auswirkungen auf die Fähigkeit zum sicheren Führen eines Motorfahrzeugs oder mit einer Beeinträchtigung der verkehrsrelevanten Leistungsfähigkeit vorliegen.

Qualitätssicherung bei der Fahreignungsabklärung

Verkehrsmedizinische Untersuchungen dürfen nur von anerkannten Ärzten durchgeführt werden, welche in vier verschiedene verkehrsmedizinischen Qualifikationsstufen eingeteilt werden (vgl. Art. 5abis VZV). Jede Stufe berechtigt zu bestimmten Untersuchungen. Die Anerkennung einer höheren Stufe berechtigt auch zur Durchführung von Untersuchungen der niedrigeren Stufen. Für die Erlangung der Anerkennung einer der vier Stufen muss der Arzt, der Fahreignungsuntersuchungen durchführt, über einen Weiterbildungstitel verfügen, eine Selbstdeklaration über bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten einreichen und - je nach der begehrten Stufe - bestimmte verkehrsmedizinische Fortbildungskurse absolvieren. Damit soll die Qualität bei Fahreignungsabklärungen gewährleistet werden.

Stufe 1    Die Stufe 1 berechtigt Ärzte zu verkehrsmedizinischen Kontrolluntersuchen von über 70-jährigen Inhabern eines Führerausweises.

Stufe 2    Die Stufe 2 berechtigt Ärzte zur erstmaligen Untersuchung und zu verkehrsmedizinischen Kontrolluntersuchen von Bewerbern resp. Inhabern eines Führerausweises der Kategorien C oder D oder der Unterkategorien C1 oder D 1 oder einer Bewilligung zum berufsmässigen Personentransport oder Untersuchungen von Verkehrsexperten.

Stufe 3    Die Stufe 3 berechtigt Ärzte, Untersuchungen bei Fahrzeuglenkern nach unklarem Ausgang bei der Erstabklärung bei einem Arzt der Stufe 1 oder 2 sowie erstmalige Untersuchungen von Bewerben, an deren medizinischer Eignung die kantonale Behörde zweifelt, durchzuführen. Weiter sind die Ärzte berechtigt, erstmalige Untersuchungen von über 65-jährigen oder körperbehinderten Bewerbern um einen Lernfahr- oder Führerausweis oder um eine Bewilligung zum berufsmässigen Personentransport durchzuführen. Zudem sind sie zu verkehrsmedizinischen Kontrolluntersuchungen von Personen während oder nach schweren körperlichen Beeinträchtigungen durch Unfallverletzungen oder Krankheiten und für verkehrsmedizinische Untersuchungen bei Meldungen von der IV-Stelle oder eines Arztes berechtigt.

Stufe 4:      Die Stufe 4 berechtigt Ärzte zu allen verkehrsmedizinischen Untersuchungen und zur Erstellung von Gutachten zur Fahreignung und Fahrfähigkeit.

Was ändert sich für Sie als Fahrzeuglenker?

Der Fahrzeuglenker, welcher verpflichtet wird, einen Arzt für eine verkehrsmedizinische Kontrolluntersuchung oder eine Fahreignungsuntersuchung aufzusuchen, kann sich nicht mehr an einen Vertrauensarzt oder eine Spezialuntersuchungsstelle, die durch die kantonale Behörde bezeichnet ist, wenden.

Ab dem 1. Juli 2016 können sich Fahrzeuglenker nur noch von anerkannten Ärzten mit der entsprechenden Qualifikationsstufe begutachten lassen. Auf der neu erstellten Internetplattform www.medtraffic.ch können die Fahrzeuglenker die Kontaktdaten der Ärzte mit der benötigten Qualifikationsstufe in ihrer Nähe suchen.

Dieser Artikel wurde erstmals im Clubmagazin des ACS Sektion Bern Ausgabe 02/2016 veröffentlicht.

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