Neues Beschaffungsrecht für Bund und Kantone: noch...
Seitenbeginn

Öffentliches Recht

Neues Beschaffungsrecht für Bund und Kantone: noch ökologischer und damit mehr Qualität und Wettbewerb?

Bund, Kantone und Gemeinden sowie andere Organisationen, die öffentliche Aufgaben erfüllen, sind verpflichtet, Bau-, Liefer-und Dienstleistungsverträge, deren Wert einen bestimmten Schwellenwert übersteigt, öffentlich auszuschreiben und die Vergabe nach bestimmten rechtlichen Vorgaben durchzuführen. Der Bund hat das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) umfassend revidiert und per 1. Januar 2021 in Kraft gesetzt.

 Auch die neue interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB 2019) ist zurzeit in der Ratifizierung bei den Kantonen und bezweckt die Harmonisierung und Modernisierung der Regeln für kantonale Vergaben mit dem Bundesrecht. Vorliegend geht es darum, Ihnen die neuen Regeln bei Bundesvergaben ab 1. Januar 2021 zusammenfassend vorzustellen und die Auswirkungen der interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) für kantonale Vergaben darzulegen.

Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) in der Fassung vom 1. Januar 2021

Wie eingangs erwähnt, gilt das Bundesgesetz selbstverständlich nur für Vergaben von Bundesstellen. Mit der Totalrevision des BöB soll der Wettbewerb gestärkt, Unter­stellungsfragen geklärt sowie die Beschaffungsvorgänge flexibilisiert und modernisiert werden. Wichtige Neuerungen sind die Stärkung der Nachhaltigkeit sowie die Korruptions­prävention, das Prinzip Qualitätswettbewerb statt Preiswettbewerb, die Erweiterung des Rechtsschutzes, die abgeänderten Sprachanforderungen und die Einführung flexibler Instrumente wie Dialog, Rahmenverträge, elektroni­sche Vergabe und elektronische Aktionen sowie verkürzte Fristen.

Neu soll das vorteilhafteste Angebot den Zuschlag erhalten statt wie bisher das «wirtschaftlich günstigste». Art. 2 lit. a des BöB hält zudem fest, dass das Gesetz den wirtschaftlichen und den volkswirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhalti­gen Einsatz der öffentlichen Mittel bezweckt. Die Zuschlags­kriterien wurden entsprechend in Art. 29 neu gefasst und stärken die Kriterien der Qualität gegenüber dem Preis. Somit soll sich das neue Beschaffungswesen nicht mehr nur an der Wirtschaftlichkeit messen, sondern sich neu auch an volkswirtschaftlichen, ökologischen und sozialnachhalti­gen Kriterien orientieren. Der Gesetzgeber macht deutlich, dass die Qualität im Verhältnis zum Preis mehr Gewicht erhält oder sogar auf die gleiche Stufe gestellt wird. Es ist gesetzgeberisch erwünscht, dass ausdrücklich im Gesetz neu genannte Zuschlagskriterien wie die Plausibilität des Angebots, die Nachhaltigkeit und/oder die Innovation breiter eingesetzt werden sollen. Dies eröffnet den Vergabestellen Spielräume, welche von den Anbietern auch eingefordert werden müssen.

Die Vergabestellen müssen neu noch stärker darauf achten, dass keine unnötig hohen Teilnahmebedingungen und Anforderungen an die Anbietenden aufgestellt werden. Der Wettbewerb soll weitergehend gefördert und den in der Schweiz ansässigen Unternehmen – insbesondere den KMU – soll eine faire Chance auf Teilnahme und Markt ermöglicht werden.

Mit dem neuen Gesetz werden die Vergabestellen verpflich­tet, sogenannte Dumpingangebote eingehend zu prüfen. In Art. 38 Abs. 3 BöB wird festgehalten, dass die Vergabebehörden bei Angeboten, deren Gesamtpreis im Vergleich zu den anderen Angeboten ungewöhnlich niedrig erscheint, bei der Anbieterin Erkundigungen darüber einzuholen muss, ob die Teilnahmebedingungen eingehalten sind und die weiteren Anforderungen der Ausschreibung verstanden wurden.

Weiter soll die Vergabebehörde nach Art. 44 Abs. 2 lit. c Anbieter vom Vergabeverfahren ausschliessen, aus einem Verzeichnis streichen oder einen bereits erteilten Zuschlag wiederrufen, wenn die Anbieter des ungewöhnlich niedrigen Angebots nicht nachweisen können, dass die Teilnahmebedingungen eingehalten werden, und keine Gewähr für die vertragskonforme Erbringung der ausgeschriebenen Leistungen geboten werden kann. Damit will der Gesetzgeber gezielte Unterangebote möglichst zielgerichtet vom Vergabe­verfahren ausschliessen.

Neue interkantonale Vereinbarung IVöB 2019

Die interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB 2019) modernisiert das öffentliche Beschaffungsrecht der Kantone und harmonisiert es mit denjenigen des Bundes.

Die Zielrichtung der Revision der interkantonalen Vereinbarung ist dieselbe wie beim Bund. Die wichtigen Grundsätze des Bundesrechts sollen auf kantonaler Stufe für die kantonalen Vergaben gleichermassen gelten. So ist es kein Zufall, dass die einzelnen Bestimmungen der IVöB nahezu identisch wie im BöB lauten. Auch hier soll das vorteilhafteste Angebot den Zuschlag erhalten und die Zuschlagskriterien sind grundsätzlich dieselben (sinnigerweise wie im BöB auch in Art. 29 IVöB geregelt).

Demgemäss wird auch in den Kantonen, die die IVöB 2019 ratifizieren, das Zuschlagskriterium Preis gegenüber den Qualitätskriterien immer mehr in den Hintergrund treten. Insbesondere dürfen neu auch im kantonalen Vergabeverfahren bspw. die Nachhaltigkeit, die Kreativität sowie der Innovationsgehalt als Zuschlagskriterium entsprechend gewichtet werden. Die Regelungen sind politisch ziemlich unbestritten.

Streitpunkt im Kanton Bern war in der vorberatenden Finanzkommission (FiKo) des Grossen Rates aber das Rechtsmittelverfahren. Bisher kennt der Kanton Bern das zweistufige Rechtsmittelverfahren, indem in erster Instanz in der Regel eine Direktion des Regierungsrates und in zweiter Instanz das Verwaltungsgericht des Kantons Bern über Submissionsbeschwerden entscheiden. Die IVöB 2019 sieht hingegen dafür neu ausdrücklich das Verwaltungsgericht als einzige kantonale Instanz vor. Die FiKo beantragte, einen Vorbehalt bei der Ratifizierung der IVöB anzubringen. Ein Rechtsgutachten des Regierungsrates zeigte aber auf, dass ein Vorbehalt rechtlich nicht möglich ist. Es würde damit den Beitritt des Kantons Bern zur revidierten IVöB gefährden.

Der Grosse Rat hat in erster Lesung vom 8. März 2021 den Beitritt zur revidierten IVöB mit 154 Ja zu 1 Nein beschlossen. Appenzell Innerrhoden ist der IVöB 2019 bereits beigetreten, die Kantone Aargau, Bern, Waadt, Wallis, Solothurn, Uri, Schwyz und Zürich sowie Thurgau haben das kantonale Beitrittsverfahren eingeleitet.

Bisher haben aber die von grossen öffentlichen Aufträgen «gesegneten» Bergkantone Graubünden und Tessin kein Beitrittsverfahren eingeleitet, ebenfalls nicht der Kanton Freiburg und die Innerschweizer Kantone Luzern, Obwalden und Nidwalden. In diesen Kantonen gilt somit die bisherige IVöB 2001 mit den entsprechenden Regelungen und den gesetzlichen kantonalen Bestimmungen weiterhin.

Der Kanton Bern wird die IVöB 2019 nach Inkrafttreten im Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (ÖBG) und in der ÖBV noch näher ausführen.

Zusammenfassung

Das Beschaffungswesen wird zwar nicht revolutionär geändert. Es wird aber sicher «qualitätslastiger», das heisst, der Preis wird immer noch eine Rolle spielen, aber nicht mehr so entscheidend sein wie bisher. Ob dies im Interesse der ursprünglichen Vorstösse Ende der 90er-Jahre des vorangegangenen Jahrhunderts ist, muss der Leser selber beurteilen. Damals ging es vor allem darum, Preisabsprachen und das künstliche Hochhalten von Angebotspreisen zulasten der öffentlichen Hand zu verhindern und möglichst günstige, wettbewerbsorientierte Preise zu erhalten und vergleichen zu können.

Wenn diese Grundsätze nun mit Kriterien wie Nachhaltigkeit/ Ökologie, technischer Wert, Ästhetik, Plausibilität des Angebots, Kreativität, Kundendienst, Innovationsgehalt und Infrastruktur etc. mehrheitlich verdrängt werden und damit der Preis in den Hintergrund rückt, besteht einerseits die Gefahr der willkürlichen Bewertung dieser Kriterien, weil eine Punktevergabe für beispielsweise das Kriterium Nachhaltig­keit im Vergleich unter den Angeboten äusserst schwierig vergleichbar dargestellt werden kann; andererseits besteht aber auch die Chance, dass nicht einfach der billigste Preis das entscheidende Kriterium für einen Zuschlag sein muss (was er aber auch unter dem bisherigen Recht nicht tat).

Wie eingangs erwähnt, versprechen sich die Gesetzgeber eine Modernisierung des Submissionsrechts, wobei der Begriff «modern» nicht immer Fortschritt bedeuten muss und erst recht nicht eine Vereinfachung des Submissionswesens.

Auf kantonaler Ebene ist die Verschlankung des Instanzen­zuges aus Sicht der Vergabebehörden zwar wünschenswert und führt vordergründig zu einer Verkürzung des Vergabeverfahrens. Wenn aber auf der anderen Seite jede Beschwerde direkt an das höchste kantonale Gericht zu gehen hat, wird dies zu einer Ausweitung der Prozesse vor Verwaltungsgericht führen. Dies wird zur Erhöhung der Richterstellen am Verwaltungsgericht führen müssen, womit die Gesetzesänderung also auch zu einer Erhöhung der öffentlichen Ausgaben führen wird.

Ob die Verfahren tatsächlich schneller behandelt werden und das Verwaltungsgericht als «weiter entfernte» Beschwerdeinstanz beispielsweise ein Vergabekriterium «technische Innovation» als erste Instanz besser beurteilen kann als eine vorgeschaltete Direktion, ist fraglich. Zudem ging längst nicht jede Submissionsbeschwerde im Kanton Bern in die zweite Instanz. Wie immer bei neuen Gesetzen wird erst die Praxis zeigen, ob die Absichten des Gesetzgebers auch tatsächlich umgesetzt werden können.

Fazit

In jedem Fall ist zu erwarten, dass Submissionsbeschwerden in Zukunft noch mehr als bisher hohes juristisches Fachwissen erfordern und Beschwerden von nicht berücksichtig­ten Anbietern ohne juristischen Beistand kaum mehr erfolgreich sein werden.

Artikel speichern

pdf (81 KB)

Artikel teilen

Share