Revidiertes Enteignungsgesetz: Grundbegriffe und w...
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Öffentliches Recht

Revidiertes Enteignungsgesetz: Grundbegriffe und wichtigste Änderungen im Überblick

Grossvater Josef K. kaufte im Jahre 1955 mehrere Grundstücke ausserhalb des Siedlungsgebiets in der Gemeinde S. mit dem Ziel, die naturbelassene Grünfläche für seine Nachkommen zu erhalten. Nördlich wird diese Oase durch einen mäandrierenden Bach begrenzt. Im Süden setzt die Eisenbahnlinie von L. nach E. der Grünfläche ein jähes Ende. Im Februar 2021 erhalten die Enkel und einzigen Erben von Josef K. Post von der Eisenbahngesellschaft. Die Eisenbahn­linie soll ausgebaut und ein Teil der Grünfläche enteignet werden.

Grundbegriffe des Enteignungsrechts

Unter einer Enteignung ist der Entzug von Eigentum durch den Staat oder Dritte mit übertragenem Enteignungsrecht (wie vorliegend die Eisenbahngesellschaft) zu verstehen. Bei der Enteignung handelt es sich um einen Eingriff in die verfassungsmässig garantierte Eigentumsfreiheit. Ein solcher setzt eine gesetzliche Grundlage sowie ein ihn rechtfertigen­des öffentliches Interesse voraus. Überdies muss ein solcher Eingriff verhältnismässig sein.

Unterschieden wird zwischen formeller und materieller Enteignung. Bei der formellen Enteignung werden dem Betroffenen Eigentumsrechte entzogen und auf einen anderen übertragen. Eine solche formelle Enteignung liegt beispielsweise vor, wenn die Eisenbahngesellschaft einen Teil des privaten Grundstücks der Erben von Josef K. enteignet, um darauf die neue Bahntrasse zu erstellen. Bei einer materiellen Enteignung bleiben die Betroffenen (die Erben von Josef K.) demgegenüber Eigentümer. Ihre Rechte, die Sache zu nutzen und über sie zu verfügen, werden aber so stark eingeschränkt, dass es sich für die Erben von Josef K. wie ein Eigentumsentzug auswirkt. Zur materiellen Enteignung hat das Bundesgericht im Laufe der Zeit eine reichhaltige Rechtsprechung entwickelt. Danach liegt eine materielle Enteignung vor, «wenn dem Eigentümer der bisherige oder ein voraussehbarer künftiger Gebrauch einer Sache untersagt oder in einer Weise eingeschränkt wird, die besonders schwer wiegt, weil ihm eine wesentliche aus dem Eigentum fliessende Befugnis entzogen wird». [1]

Sowohl eine formelle als auch eine materielle Enteignung wird mit einer Entschädigung ausgeglichen (Art. 26 Abs. 2 BV [2]). In Verfahren betreffend den Ausbau einer Eisenbahn­trasse kommt es jedoch immer häufiger zu den für die Grundeigentümer besonders einschneidenden entschädi­gungslos hinzunehmenden öffentlich-rechtlichen Eigentums­beschränkungen. Bisher hat es das Bundesgericht vermieden, einen Schwellenwert zu nennen, ab welchem Eingriffe als schwer gelten und somit zu entschädigen sind. Ein Blick in die bisherige Praxis des Bundesgerichts zeigt aber, dass Wertverluste bis zu einem Viertel oder gar Drittel entschädi­gungslos hinzunehmen sind. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Frage, ob den Eigentümern nach der Planungsmassnahme (Ausbau Eisenbahntrasse) eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung des Grundstücks verbleibt. Hier ist jeweils eine Beurteilung des Einzelfalls nötig.

Wichtigste Änderungen des Enteignungsgesetzes [3] im Überblick

Die Änderungen des per 1. Januar 2021 in Kraft gesetzten revidierten EntG dienen insbesondere dazu, die Verfahrens­vorschriften an die geänderten rechtlichen Verhältnisse anzupassen. [4]

Das Enteignungsgesetz aus dem Jahre 1930 sieht ein eigenständiges Enteignungsverfahren vor. Die meisten Enteignungen finden inzwischen jedoch im Zusammenhang mit Projekten statt, für die ein koordiniertes Plangenehmi­gungsverfahren nach Bundesrecht nötig ist (z.B. Plangeneh­migungsverfahren betreffend die Anpassung einer Eisen­bahntrasse). Das im Enteignungsrecht bisher vorgesehene selbstständige Enteignungsverfahren kommt nur noch selten zur Anwendung. Dieser Entwicklung trägt die Revision Rechnung. Gleichzeitig wird im Sinne der Rechtssicherheit für die Betroffenen eine verbesserte Koordination mit den Sachgesetzen (EBG [5]) sichergestellt.

Entschädigungsforderungen aus Enteignungen werden durch die dezentral organisierten 13 eidgenössischen Schätzungs­kommissionen (ESchK) beurteilt. Neu soll es möglich sein, z.B. bei Ressourcenknappheit, dauernd oder vorübergehend vollamtliche Mitglieder der ESchK anzustellen, um eine Beurteilung in angemessener Frist sicherstellen zu können.

Ein weiteres Anliegen der Revision ist der haushälterische Umgang mit landwirtschaftlich genutztem Boden. In diesem Zusammenhang hat das Parlament die Entschädigung für Kulturland auf das Dreifache des Höchstwerts der Entschädi­gung gemäss dem bäuerlichen Bodenrecht festgelegt.

Gleichzeitig mit dem revidierten Gesetz wurde auch das Verordnungsrecht angepasst. Im Zentrum dieser Änderungen steht die Entkoppelung der Gebühren der Enteigner (z.B. Eisenbahngesellschaft) von den Entschädigungen an die Schätzungskommissionen: Damit werden die Schätzungs­kommissionen von den Enteignern unabhängiger.

Schlussbemerkung

Es stellt sich die Frage, ob das Parlament mit der beschriebe­nen Revision nicht die Chance verpasst hat, eine inhaltliche Überarbeitung des Enteignungsgesetzes vorzunehmen. Dabei stünden insbesondere klare, transparente Regelungen für eine faire Lösung bei den Entschädigungen für Eingriffe in die Nutzung des Eigentums im Vordergrund.

Gerne unterstütze ich Sie bei enteignungsrechtlichen Anliegen sowohl im Zusammenhang mit Plangenehmigungs­verfahren als auch in eigenständigen Enteignungsverfahren.

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