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Strafrecht

Führen eines Personenwagens im Ausland Verhalten bei einem Unfall sowie Geltendmachung allfälliger Ersatzansprüche

Die sechsköpfige Familie Q plante im September 2021 mit ihrem privaten Personenwagen von Bern nach Italien in die Ferien zu fahren. Vorausschauend informierte sich Herr Q im Vorfeld der Reise über die gesetzlichen Vorschriften in Italien (nötige Ausstattung, Verkehrsregeln, etc.).

Vollbepackt trat Familie Q am 4. Oktober 2021 ihre Reise an. Kaum hatten sie die Grenze nach Italien passiert, stiessen sie in der Umgebung von Aosta mit einem ihnen auf der falschen Seite entgegenkommenden Lieferwagen zusammen. Dabei wurde Frau Q leicht verletzt. An den am Unfall beteiligten Motorfahrzeugen entstand erheblicher Sachschaden.

Vorbereitung einer Auslandsreise mit dem eigenen Personenwagen

Obwohl die Regeln betreffend die nötige Ausstattung eines Personenwagens in den Mitgliedstaaten der EU und insb. in unseren Nachbarländern ähnlich ausgestaltet sind, bestehen zu beachtende Unterschiede. Es ist deshalb ratsam, sich vor einem Auslandaufenthalt über die gesetzlichen Vorschriften des Reiselandes zu informieren.

Herr Q fand im Rahmen seiner Recherche betreffend Italien folgendes heraus:

  • Für Italienreisen reicht der Schweizer Führerausweis aus.
  • Der Fahrzeugausweis ist stets im Fahrzeug mitzuführen.
  • Als Nachweis für eine gültige Motorfahrzeughaftpflichtversicherung reicht normalerweise das Schweizer Nummernschild. Dennoch kann das Mitführen der internationalen Versicherungskarte (ehem. Grüne Karte)[1] hilfreich sein.
  • Das Nationalitätskennzeichen (CH) muss in der vorgeschriebenen Grösse am Fahrzeug angebracht sein.
  • Neben dem Pannendreieck ist in Italien ausserhalb von geschlossenen Ortschaften für jede Person, welche das Fahrzeug bei einem Unfall oder einer Panne verlässt und sich auf der Fahrbahn aufhält, eine Warnweste mitzuführen. Die Warnweste muss dabei - wie das Pannendreieck - griffbereit im Fahrzeuginnenraum aufbewahrt werden.
    • Hilfreich - aber nicht vorgeschrieben - ist das Mitführen mindestens eines Europäischen Unfallprotokolls[2].

Auch was die gängigsten Verkehrsregeln angeht, gibt es je nach Reiseziel unterschiedliche Vorschriften. Herr Q fand für Italien folgende Regelungen:

  • Die Promillegrenze liegt bei 0,5 ‰ (absolutes Alkoholverbot für Personen, die noch keine drei Jahre im Besitze eines Führerausweises sind).
  • Ausserorts sowie auf Autobahnen muss auch tagsüber mit Abblendlicht gefahren werden.
  • Kinder unter 12 Jahren bzw. solche, die weniger als 1.5 m messen, sind mit einem Rückhaltesystem, welches der Statur und dem Gewicht der Kinder entspricht, zu sichern.
  • Geschwindigkeitsbegrenzungen: Innerorts 50 km/h, Ausserorts 90 km/h, auf Autobahnen 130 km/h.

Sicherheitshalber prüfte Herr Q vor der Abreise nach Italien seine Versicherungsdeckung im Falle eines möglichen Unfalls im Ausland.

Verhalten bei einem Unfall im Ausland

Nach dem Unfall bei Aosta haben die Familie Q sowie die übrigen Beteiligten in erster Linie Ruhe zu bewahren. Sowohl Herr Q als auch der Fahrer des Lieferwagens schalten die Warnblinkanlage ihrer Fahrzeuge ein und sämtliche am Unfall beteiligten Personen ziehen die mitgeführten Warnwesten über. Haben sich die Beteiligten einen Überblick verschafft, ist die Unfallstelle zu sichern und Frau Q zu versorgen (erste Hilfe). Gibt es - wie vorliegend - Verletzte und / oder erheblichen Sachschaden, ist in Italien zwingend die Polizei[3] zu alarmieren. Dasselbe gilt, falls sich Unfallbeteiligte nicht kooperativ verhalten, den Unfallort vorzeitig verlassen oder, wenn kein Versicherungsnachweis besteht.

In einem weiteren Schritt haben Herr Q und der Fahrer des Lieferwagens die nötigen Angaben der Unfallbeteiligten (inkl. allfälliger Zeugen) aufzunehmen. Gleichzeitig sind der Unfallort, der Unfallhergang sowie die entstandenen Schäden zu protokollieren (Skizze, Fotos, etc.). Festzuhalten sind insb. die Namen und Adressen der Fahrer bzw. der Halter der am Unfall beteiligten Fahrzeuge, die Fahrzeugkennzeichen, die jeweilige Versicherung sowie die Versicherungsnummern.[4] Falls vorhanden, können die entsprechenden Angaben zum Fahrzeug sowie zur Versicherung der Internationalen Versicherungskarte entnommen werden.

Sämtliche relevanten Daten werden im Europäischen Unfallprotokoll abgefragt. Das gemeinsame Ausfüllen des Protokolls durch Herrn Q und den Fahrer des Lieferwagens stellt sicher, dass nichts vergessen geht. Dank des mitgeführten mehrsprachigen Europäische Unfallprotokolls können Sprachschwierigkeiten umgangen werden, indem Herr Q resp. der Fahrer des Lieferwagens das Formular jeweils in der eigenen Sprache ausfüllen können. Die im Protokoll gemachten Angaben ermöglichen es der Haftpflichtversicherung des Fahrers des Lieferwagens später einen Entscheid im Hinblick auf die Schadenabwicklung zu treffen.

In einem nächsten Schritt informieren Herr Q und der Fahrer des Lieferwagens, welche sich über den Unfallhergang einig sind, ihre jeweiligen Versicherungen, welche in der Regel die nächsten Schritte organisieren (Fahrzeug-, Personentransport, etc.).

Durchsetzung allfälliger rechtlicher Ansprüche

Familie Q kann ihre Ansprüche aus dem Unfall direkt bei der gegnerischen Versicherung in Italien oder in der Schweiz geltend machen. Bei Unklarheiten über die Zuständigkeiten kann Familie Q das Nationale Versicherungsbüro[5] kontaktieren, welches ihr den Schadenregulierungsbeauftragten der ausländischen Versicherung in der Schweiz nennt. Richtet sich Familie Q an diesen, hat der Schadenregulierungsbeauftragte gemäss dem bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und Italien, welches an die Bestimmungen der Europäischen Union[6] angelehnt ist, innert dreier Monate ein Entschädigungsangebot zu unterbrieten resp. eine allfällige Verzögerung zu begründen. Unabhängig davon, ob Ansprüche in Italien oder der Schweiz geltend gemacht werden, ist in der Regel das materielle Recht Italiens anzuwenden.[7]

Für die Beantwortung von Fragen betreffend das anwendbare Recht, die örtliche, sachliche und funktionale Zuständigkeit allfällig anzurufender Gerichte resp. möglicher Ansprüche und deren Verjährungsfristen ist es sinnvoll, einen Anwalt einzuschalten und sich entsprechend beraten zu lassen.

Bei Schäden stehen in Italien folgende Ansprüche im Vordergrund:

  • Personenschäden:
    • Arzt-, Heil- und Pflegekosten soweit sie nicht durch die eigene Kranken- resp. Unfallversicherung gedeckt sind.
    • Verdienstausfall; gegen entsprechenden Nachweis.
    • Schmerzensgeld; nach richterlichem Ermessen.
  • Sachschäden:
    • Reparaturkosten; gegen Rechnung, ev. Gutachten.
    • Totalschaden; gegen Gutachten.
    • Mietwagenkosten (ausnahmsweise bei beruflichem Bedarf, meist mit Abzügen).
    • Nutzungsausfall; in der Regel zeitlich begrenzt (Tagespauschalen).
    • Abschleppkosten; in der Regel bis zur nächsten Werkstatt.
    • Wertverminderung; setzt in der Regel erheblichen Sachschaden voraus (nur bei Neuwagen).
    • Kaskoselbstbehalt; gegen Abrechnung.
    • Übernachtung/Verpflegung; ausnahmsweise und nur gegen Nachweis.
    • Anwaltskosten; teilweise selbst zu tragen.
    • In der Regel keine Entschädigung für Urlaubsunterbrechung resp. -beeinträchtigung.

Fussnoten

  1. Das Mitführen und Vorweisen der von den Versicherungen kostenlos abgegebenen internationalen Versicherungskarte ist weder in der Schweiz noch in den EU-Mitgliedsstaaten Pflicht. Die internationale Versicherungskarte, dient dem Nachweis der Haftpflichtversicherung und enthält alle relevanten Daten zum Fahrzeug und zur Versicherung.

  2. Europaweit vereinheitlichtes Formular zur Protokollierung von Verkehrsunfällen, welches in verschiedenen Sprachen erhältlich ist (auch in Italienisch). Bei Sachschaden ohne Verletzte und Einigkeit bezüglich des Unfallhergangs reicht den Versicherungen zur Schadensregelung das Protokoll; ein Polizeirapport ist nicht notwendig. Das Protokoll ist von allen Beteiligten auszufüllen und zu unterzeichnen. Achtung: Unterzeichnen Sie am Unfallort nie eine Haftungsanerkennung.

  3. Polizei, Feuerwehr, Ambulanz: Tel. 112.

  4. Es ist sinnvoll, sich auch die Namen und die Dienststelle der anwesenden Polizeibeamten geben zu lassen. So kann später das Einholen des Polizeirapports erleichtert werden.

  5. Die grundlegenden Bestimmungen über die Organisation, die Tätigkeit und die Finanzierung des Nationalen Versicherungsbüros sind in den Art. 74 ff. des Strassenverkehrsgesetzes (SVG; SR 741.01) und in den Art. 39 ff. der Verkehrsversicherungsverordnung (VVV; SR 741.31) enthalten.

  6. Am 16. Mai 2000 wurde im EU-Raum die 4. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie (RL 2000/26/EG) erlassen. Diese Richtlinie, die am 16. September 2009 in die RL 2009/103/EG überführt wurde, verpflichtet die EWR-Mitgliedstaaten zur Einhaltung von verschiedenen Bestimmungen zum Schutz von Personen, die im Ausland Opfer von Verkehrsunfällen wurden.

  7. Die Schweiz ist Mitunterzeichnerin des Haager Übereinkommens über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht, welches am 4. Juli 1971 in Den Haag (NL) abgeschlossen und von der Bundesversammlung am 4. Oktober 1985 genehmigt worden ist. Das Abkommen ist für die Schweiz am 2. Januar 1987 in Kraft getreten. Entsprechend gilt gemäss Art. 134 des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG; SR 291) für Ansprüche aus Strassenverkehrsunfällen mit internationalen Sachverhalten dieses Strassenverkehrsabkommen. Die Kollisionsnormen des Übereinkommens werden unabhängig vom Erfordernis der Gegenseitigkeit angewendet; es ist auch anwendbar, wenn das anzuwendende Recht nicht das Recht eines Vertragsstaats ist. Das Abkommen enthält ausschliesslich Normen zur Bestimmung des anwendbaren Rechts.

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