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Strafrecht

Führerausweisentzug in der Schweiz nach Widerhandlung im Ausland?

Herr F. freute sich, im Frühling 2021 endlich mal wieder im Ausland Ferien machen zu können. Zu diesem Zweck mietete er einen Sportwagen und fuhr damit nach Frankreich. Auf der Autobahn wurde er von einer Polizeistreife angehalten und auf eine massive Geschwindigkeitsüberschreitung hingewiesen. Später verfügte die zuständige Präfektur in Frankreich gegenüber Herrn F. ein für Frankreich geltendes Fahrverbot von einem Monat. Gleichzeitig wurde der vorsorglich von der französischen Polizei eingezogene Führerausweis von Herrn F. der zuständigen Schweizer Behörde übermittelt.

Der nachfolgende Artikel erhellt die Zusammenhänge zwischen der Aberkennung der Fahrerlaubnis im Ausland und einem möglichen Führerausweisentzug in der Schweiz.

A.  Historie

Mit Urteil vom 14. Juni 2007 [1] hat das Bundesgericht festgestellt, dass das Strassenverkehrsgesetz [2]  keine ausreichende Grundlage für den Entzug des schweizerischen Führerausweises nach Verkehrsregelverletzungen im Ausland enthält. Damit war fortan ein Entzug des schweizerischen Führerausweises nach einem im Ausland verfügten Fahrverbot nicht mehr möglich.

Mit der Teilrevision des SVG vom 20. März 2008 (in Kraft seit 1. September 2008), namentlich der Einführung von Art. 16cbis SVG, wurde die gesetzliche Grundlage für die Anordnung eines solchen Führerausweisentzug geschafften und damit die Fortsetzung der bisherigen, langjährigen Praxis ermöglicht [3].

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts durften auch im Ausland begangene Verkehrsdelikte für den Warnungsentzug des Führerausweises in der Schweiz berücksichtigt werden [4]. Demnach entfaltet die beabsichtigte Warnungswirkung einer Aberkennung der Fahrerlaubnis im Tatortstaat ihre vollumfängliche Wirkung nur, wenn sie mit einer solchen in der Schweiz ergänzt wird.

B.  Führerausweisentzug nach Widerhandlung im Ausland (Art. 16cbis SVG)

Gemäss Art. 16cbis Abs. 1 SVG wird nach einer Widerhandlung im Ausland der Führerausweis entzogen, wenn:

a.    im Ausland ein Fahrverbot verfügt wurde; und

b.    die Widerhandlung nach den Art. 16b und 16c SVG als mittelschwer oder schwer zu qualifizieren ist.

Gemäss Abs. 2 von Art. 16cbis SVG sind bei der Festlegung der Entzugsdauer die Auswirkungen des ausländischen Fahrverbots auf die betroffene Person angemessen zu berücksichtigen. Die Mindestentzugsdauer gemäss Art. 16b und 16c SVG (Kaskadensystem) darf diesbezüglich unterschritten werden. Die Entzugsdauer darf bei Personen, die im Administrativmassnahmenregister (Art. 89c Bst. d SVG) nicht verzeichnet sind, die am Begehungsort verfügte Dauer des Fahrverbots nicht überschreiten.

Art. 16cbis Abs. 2 Satz 1 und 2 SVG bezwecken die Vermeidung einer Doppelbestrafung [5]. Begeht eine Person mit schweizerischem Wohnsitz im Ausland ein Strassenverkehrsdelikt, kann der Tatortstaat eine Administrativmassnahme allein mit Wirkung für das eigene Staatsgebiet aussprechen. Den schweizerischen Führerausweis als solchen kann er nicht entziehen [6]. Die Wirkung der im Ausland verfügten Administrativmassnahme ist daher beschränkt. Deshalb sieht Art. 16cbis SVG unter den dort genannten Voraussetzungen den Entzug des schweizerischen Führerausweises durch die hiesige Behörde vor. Das darf jedoch nicht zu einer doppelten Sanktionierung führen. Die im Ausland und in der Schweiz ausgesprochenen Massnahmen müssen in ihrer Gesamtheit schuldangemessen sein [7].

Daher sind gemäss Art. 16cbis Abs. 2 Satz 1 SVG bei der Festlegung der Entzugsdauer die Auswirkungen des ausländischen Fahrverbots auf die betroffene Person angemessen zu berücksichtigen. Das ausländische Fahrverbot kann den Fehlbaren unterschiedlich stark oder gar nicht treffen. So gibt es Fahrzeuglenker, die im Tatortstaat oft unterwegs sind, weshalb sie das dortige Fahrverbot erheblich belastet. Umgekehrt gibt es Personen, die praktisch nie im Tatortstaat ein Fahrzeug lenken, weshalb sie das ihnen dort auferlegte Fahrverbot kaum oder überhaupt nicht trifft. Massgeblich sind somit die Umstände des Einzelfalles. Gegebenenfalls kann sich das Unterschreiten der Mindestentzugsdauer rechtfertigen, was Art. 16cbis Abs. 2 Satz 2 SVG ausdrücklich zulässt.

Gemäss Art. 16cbis Abs. 2 Satz 3 SVG darf die Entzugsdauer bei Personen, die im Administrativmassnahmenregister nicht verzeichnet sind, die am Begehungsort im Ausland verfügte Dauer des Fahrverbots nicht überschreiten. Dieser Satz wurde in der parlamentarischen Beratung in das Gesetz eingefügt. Damit wird dem Unrechtsgehalt der Verkehrsregelverletzung am ausländischen Begehungsort Rechnung getragen [8]. Art. 16cbis Abs. 2 Satz 3 SVG ist jedoch nur anwendbar bei Personen, die im Administrativmassnahmenregister nicht verzeichnet sind, also bei Ersttätern.

Bei Rückfalltätern darf die schweizerische Behörde die Dauer des am Begehungsort verfügten Fahrverbots überschreiten. Der Grund hierfür liegt darin, dass die ausländische Behörde von früher in der Schweiz gegen den Fehlbaren verfügten Administrativmassnahmen regelmässig keine Kenntnis hat. Dürfte die schweizerische Behörde die Dauer des am Begehungsort verfügten Fahrverbots nicht überschreiten, könnte sie die bei Rückfalltätern gemäss Art. 16b Abs. 2 und Art. 16c Abs. 2 SVG vorgesehenen Massnahmeschärfungen nicht zur Anwendung bringen, was zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Privilegierung führen würde [9].

Demgegenüber darf die schweizerische Behörde bei einem Ersttäter keine strengere Wertung vornehmen als die ausländische [10]. Dass sie gegebenenfalls nach hiesigen Massstäben ein längeres Fahrverbot als gerechtfertigt angesehen hätte, spielt keine Rolle. Die Dauer des am Begehungsort ausgesprochenen Fahrverbots begrenzt den Ermessensspielraum der schweizerischen Behörde nach oben. Es verhält sich insoweit wie bei Art. 7 Abs. 3 Strafgesetzbuch [11], wonach das Gericht bei den von jener Bestimmung erfassten Auslandtaten die Sanktionen so bestimmt, dass sie insgesamt für den Täter nicht schwerer wiegen als die Sanktionen nach dem Recht des Begehungsortes. Auch damit hat der Gesetzgeber eine obere Begrenzung des Ermessensbereichs festgelegt [12].

Exkurs: Für den Sicherungsentzug gemäss Art. 16d SVG, d.h. beim Entzug wegen fehlender Fahreignung, gelten andere Regeln. Hier soll die Schweizer Behörde die erforderlichen Massnahmen in der Schweiz treffen können und zwar unabhängig davon, ob im Ausland die Fahrberechtigung aberkannt wurde oder nicht.

C.  Fazit für Herrn F.

Der Entzug der Fahrerlaubnis für Frankreich schränkt Herrn F. kaum ein, da er lediglich in den Ferien ins Ausland reist. Er befürchtet jedoch die Aberkennung seines in der Schweiz erlangten Führerausweises, was in schmerzlich treffen würde. Bereits im Jahre 2020 wurde ihm der Führerausweis wegen eines Verkehrsdelikts in der Schweiz für einen Monat entzogen, weshalb er im Administrativmassnahmenregister eingetragen ist.

Weil der Herr F. die zulässige Geschwindigkeit in Frankreich um mehr als 50 km/h überschritt, wurde im Ausland ein Fahrverbot gegen ihn verfügt. Zudem ist die, Herrn F. zur Last gelegte, Widerhandlung in der Schweiz nach den Art.16b und 16c SVG als schwer zu qualifizieren. Die Voraussetzungen für einen Entzug des Führerausweises nach Art. 16cbis Abs. 1 SVG sind damit gegeben.

Da Herr F. bereits über einen Eintrag im Administrativmassnahmenregister verfügt, ist Art. 16cbis Abs. 2 Satz 3 SVG nicht anwendbar und die Dauer des in Frankreich verfügten Fahrverbots darf von der zuständigen Schweizer Behörde überschritten werden.

Wäre Herr F. demgegenüber Ersttäter dürfte eine von der zuständigen Schweizer Behörde ausgesprochene Massnahme nicht strenger sein, als die von der zuständigen Präfektur in Frankreich ausgesprochene (ein Monat). Dies obwohl das Schweizer Recht für eine entsprechende Verkehrsregelverletzung eine Mindestdauer des Entzugs von drei Monaten vorsieht.

Fussnoten

  1. BGE 133 II 331

  2. SVG; SR 741.01

  3. BBl 2007 7617

  4. z.B. BGE 128 II 133, BGE 129 II 168

  5. BBl 2007 7622

  6. BGE 128 II 133 E. 4a S. 136 mit Hinweisen

  7. BGE 128 II 133 E. 3b/bb S. 136 mit Hinweis

  8. Verwiesen wurde auf Art. 7 Abs. 3 StGB, der im Strafrecht bei Auslandtaten eine ähnliche Regelung kennt (AB 2008 N 171 und 282 [Voten Müller]).

  9. AB 2008 S 127 f. (Voten Bieri und Hess), 129 (Votum Leuenberger), 180 (Voten Bieri und Leuenberger).

  10. vgl. AB 2008 N 415 (Voten Germanier und Berberat), 416 (Votum Müller).

  11. StGB; SR 311.0

  12. Andreas Donatsch/Brigitte Tag, Strafrecht I, 9. Aufl. 2013, S. 51; Peter Popp/Tornike Keshelava, in: Strafrecht I, Basler Kommentar, 3. Aufl. 2013, Vor Art. 3 StGB N. 38 f.; BGE 141 II 256.

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