EL-Reform: die wichtigsten Änderungen im Überblick
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Öffentliches Recht

EL-Reform: die wichtigsten Änderungen im Überblick

Die EL-Reform, welche kürzlich in Kraft trat, hat erhebliche Rechtsunsicherheit ausgelöst und führt zu einem erhöhten Beratungsaufwand. Bezüger von AHV- oder IV-Renten befürchten, ihre Ansprüche auf EL zu verlieren, und auch zukünftige Rentner sind verunsichert, ob sie ihre momentane Lebensführung beibehalten können, ohne dass sie in Zukunft bezüglich der EL Einschränkungen hinnehmen müssen. Nachfolgend werden deshalb ausgewählte Eckpunkte der EL-Reform erläutert und kritisch analysiert.

Ausgangslage

Die Ergänzungsleistungen (EL) dienen der Existenzsicherung von Personen, welche eine AHV- oder IV-Rente beziehen und nicht über genügend eigene Mittel verfügen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Diesfalls wird die Differenz zwischen den anerkannten Ausgaben und den anrechenbaren Einnahmen, wozu auch ein gewisser Vermögensverzehr gehört, in Form der EL ausbezahlt. Die EL sollen helfen, in angemessener Weise die Lebenshaltungskosten zu decken, wo die Renten und das übrige Einkommen nicht ausreichen. Sie stellen Bedarfsleistungen dar, auf die bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen ein Rechtsanspruch besteht. Mit den EL soll das verfassungsmässige Ziel der angemessenen Existenzsicherung erreicht werden, ohne dass die betroffenen Personen Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen. [1]

Am 22. März 2019 verabschiedete das Parlament das neue Bundesgesetz über die Ergänzungsleistungen (EL-Reform), welches nun per 1. Januar 2021 in Kraft trat. [2] Anlass für die EL-Reform bildete insbesondere das starke Kostenwachstum; aufgrund der demografischen Entwicklung haben sich die EL-Ausgaben zwischen den Jahren 2000 und 2018 von 2,3 auf 5 Milliarden Franken pro Jahr mehr als verdoppelt. Die Anzahl der Bezüger von Ergänzungsleistungen stieg dabei von 202'700 auf 328'100 Personen an. [3] Die EL-Reform bezweckt einerseits eine Optimierung des Systems der EL, damit dieses seine Aufgabe langfristig sicherstellen kann. Andererseits sollen das Leistungsniveau erhalten und eine Verschiebung zu Lasten der Sozialhilfe verhindert werden. [4] Ob diese Ziele dereinst erreicht werden, wird sich zeigen.

Die wichtigsten Änderungen im Überblick

Stärkere Berücksichtigung des Vermögens / neue Vermögensschwelle

Nebst den Einnahmen der EL-Bezüger spielt auch das Vermögen für die Berechnung des EL-Anspruchs eine gewisse Rolle. Bislang wurde das Vermögen lediglich im Rahmen des sog. Vermögensverzehrs gemäss Art. 11 Abs. 1 lit. c ELG berücksichtigt. Hierbei wird ein fixer Bruchteil des Vermögens als Einkommen angerechnet, wobei es sich um eine rein fiktive Anrechnung handelte. Es bestand demnach keine gesetzliche Handhabe, eine versicherte Person tatsächlich zu einem Vermögensverzehr zu zwingen. [5]

Neu sind gemäss Art. 9a ELG nur noch diejenigen Personen anspruchsberechtigt für EL, die über ein Reinvermögen von weniger als CHF 100'000 verfügen. Bei Ehepaaren wird auf ein Vermögen von CHF 200'000.00 abgestellt; selbstbewohnte Liegenschaften werden dagegen gemäss Art. 9 Abs. 2 ELG nicht an das Vermögen angerechnet. Aufgrund dieser neu eingeführten Vermögensschwelle wird von den versicherten Personen nunmehr faktisch ein tatsächlicher Vermögensverzehr gefordert, ansonsten kein Anspruch auf EL begründet werden kann. [6] Die Vermögensfreibeträge gemäss Art. 11 Abs. 1 lit. c ELG sollten bei der Berechnung der Vermögensschwelle freilich nicht berücksichtigt werden, da sich diese nur auf den Vermögensverzehr beziehen. [7]

Senkung der Vermögensfreibeträge

Bei der Berechnung des EL-Anspruchs wird ein Teil des Vermögens nicht berücksichtigt, der soeben bereits genannte Freibetrag gemässArt. 11 Abs. 1 lit. c ELG. Dieser beträgt nunmehr CHF 30'000 anstatt vorher CHF 37'500 für alleinstehende Personen und CHF 50'000 statt CHF 60'000 für Ehepaare. Der Freibetrag von CHF 15'000 für Kinder sowie die Freibeträge auf selbstbewohnte Liegenschaften von CHF 112'500 bleiben hingegen unverändert. Hypothekarschulden können neu gemäss Art. 17 Abs. 2 ELV nur noch bis zum Liegenschaftswert vom Vermögen abgezogen werden, während es bislang möglich war, dass die voll abzugsberechtigten Hypothekarzinsen höher waren als der Wert der Liegenschaft, wodurch sich auch das übrige Vermögen schmälern liess. [8] Die tieferen Freibeträge führen dazu, dass bei einem Vermögen über dem Freibetrag das für die EL-Berechnung massgebende Einkommen steigt, da ein hierdurch erhöhter Vermögensverzehr angenommen wird. [9]

Neugestaltung des Vermögensverzichts

Grundsätzlich sind nur tatsächliche Einnahmen und vorhandenes Vermögen bei der Berechnung der EL zu berücksichtigen. Eine Ausnahme davon ist der sog. Vermögensverzicht gemässArt. 11 Abs. 1 lit. g ELG (Fassung vom 6. Oktober 2006). Ein solcher liegt vor, wenn eine Entäusserung von Vermögenswerten ohne Rechtspflicht oder ohne gleichwertig Gegenleistung erfolgt. Mit dem neuen Art. 11a ELG wird diesbezüglich die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts kodifiziert. Weiter wird der Vermögensverzicht in Art. 17b ELV präzisiert: Danach liegt ein Vermögensverzicht vor, wenn eine Person Vermögenswerte veräussert, ohne dazu rechtlich verpflichtet zu sein, und die Gegenleistung weniger als 90 Prozent des Werts der Leistung entspricht.  

Der Begriff des Vermögensverzicht wird zudem weiter ausgedehnt. So liegt ein Vermögenverzicht gemäss Art. 11a Abs. 3 ELG auch dann vor, wenn ein grosser Teil des Vermögens innerhalb von kurzer Zeit verbraucht wird, selbst wenn den Ausgaben jeweils gleichwertige Einnahmen gegenüberstehen. Ein Vermögensverzicht wird neu angenommen, wenn eine Person mit einem Vermögen von über CHF 100'000 innerhalb eines Jahres mehr als 10 Prozent dieses Vermögens verbraucht. Der Betrag, der die genannten 10 Prozent übersteigt, gilt dann ebenfalls als Vermögensverzicht. Bei Personen, die ein Vermögen von weniger als CHF 100'000 besitzen, wird bei Ausgaben im Betrag ab CHF 10'000 pro Jahr ein Vermögensverzicht angenommen. Gemäss Art. 11a Abs. 4 ELG gilt die neue Regelung für Bezüger einer Altersrente bereits für zehn Jahre vor der Entstehung des Rentenanspruchs. Dies hat faktisch eine staatliche Lebensführungskontrolle von EL-Bezügern mit einer AHV-Rente rückwirkend ab dem 55 Lebensjahr zur Folge. [10] Damit findet im Bereich der EL ein Paradigmenwechsel statt. Bisher war es für die Berechnung der EL nicht relevant, wie viel Geld eine Person ausgab, bzw. wofür sie das Geld gebrauchte, solange den Ausgaben eben eine gleichwertige Gegenleistung gegenüberstand. Neu schreibt das Gesetz vor, wie viel Geld eine Person ausgeben darf, bevor der Verbrauch rechtlich als Verzicht gewertet wird. Diese Änderung wird damit begründet, dass grosse Vermögensveräusserungen innerhalb von kurzer Zeit, ohne dass für die Zukunft vorgesorgt werde, sanktioniert werden müssten. Es besteht offenbar der - allerdings nicht durch verifiziertes Datenmaterial belegte - Generalverdacht gegenüber zukünftig versicherten Personen, dass diese mit einem Luxusleben vor der Pension ihr Geld verschleudern. Da derartige Machenschaften nicht belegt sind, besteht somit der Eindruck, dass unter dem Deckmantel einer an sich akzeptierten Missbrauchsbekämpfung hier lediglich eine weitere Sparmassnahme eingeführt worden ist. [11] 

Rückerstattungspflicht für Erben

Eine wichtige und weitreichende Änderung ist die neue Rückerstattungspflicht für Erben gemäss Art. 16a und 16b ELG. [12] Die Rückerstattungspflicht bedeutet, dass die Erben nach dem Ableben eines EL-Bezügers die in den letzten zehn Jahren bezogenen Ergänzungsleistungen aus dem Nachlass zurückerstatten müssen. Eine Pflicht zur Rückerstattung besteht aber nur auf dem Erbteil, der den Betrag von CHF 40'000 übersteigt; auch selbstbewohnte Liegenschaften unterstehen der Rückerstattungspflicht. Bei Ehepaaren, entsteht die Rückerstattungspflicht erst beim Tod des überlebenden Ehegatten. Der Rückerstattungsanspruch verwirkt ein Jahr nach Kenntnisnahme der zuständigen EL-Stelle, bzw. zehn Jahre nach Entrichtung der einzelnen Leistung. Somit sind nur EL, welche in den letzten zehn Jahren vor dem Tod eines Bezügers entrichtet wurden, rückerstattungspflichtig. Gemäss den Übergangsbestimmungen bezieht sich die Rückerstattungspflicht nur auf EL, die nach dem Inkrafttreten der EL-Reform ausbezahlt worden sind. EL, welche also vor dem 1. Januar 2021 rechtmässig bezogen wurden, werden von der Rückerstattungspflicht noch nicht erfasst. Die neue Regelung führt mutmasslich dazu, dass kein Anreiz für die Vermögensbildung mehr besteht. Demgegenüber werden Umgehungen gefördert, etwa um das lang ersparte Eigenheim nicht in die Rückerstattung der EL investieren zu müssen. [13]

Anhebung der Mietzinsmaxima

Bei der Berechnung der EL werden die Wohnkosten bis zu einem bestimmten, pauschalisierten Betrag angerechnet. Diese geltenden Mietzinsmaxima vermochten die tatsächlichen Wohnkosten häufig nicht mehr zu decken. Daher werden die Mietzinsmaxima angehoben, um auch den steigenden Mietpreisen besser Rechnung zu tragen. Weiter wird auch der Wohnort berücksichtigt: So unterscheiden sich die Mietzinsmaxima je nach Region, wobei eine Unterteilung in Grosszentren, Stadt und Land erfolgt. [14] Für eine alleinstehende Person, die im Grosszentrum wohnt, gilt jetzt beispielsweise ein Mietzinsmaxima von CHF 1'370 anstatt von CHF 1'100. Für eine vierköpfige Familie auf dem Land ist der Höchstbetrag von CHF 1'250 auf CHF 1'740 gestiegen. [15] Ziel der Reform ist es, dass die Mietzinsmaxima die tatsächlichen Wohnkosten von mindestens 90 Prozent der EL-Bezüger decken. Um dieses Ziel langfristig zu erreichen, wird der Bundesrat alle zehn Jahre prüfen, ob die Höchstbeträge nach wie vor den tatsächlichen Kosten entsprechen. Wenn sich der Mietpreisindex seit der letzten Erhebung um mehr als 10 Prozent verändert, hat die Überprüfung bereits früher zu erfolgen. [16]

Auswirkungen

Mit der Reform soll das Leistungsniveau erhalten bleiben, damit die EL-Bezüger ihren gewohnten Lebensstandard beibehalten können. Die Anhebung der Mietzinsmaxima kommt grundsätzlich allen Bezügern von EL zugute. Die stärkere Berücksichtigung des Vermögens in der Berechnung zur EL kann indes - bei gleichbleibenden Ausgaben - zu einem höheren anrechenbaren Einkommen führen und damit eine Reduktion der EL oder gar einen Verlust des Anspruchs zur Folge haben. Führen die neuen gesetzlichen Bestimmungen bei bisherigen Bezügern zu einer Kürzung der EL, so werden diese übergangsrechtlich erst in drei Jahren angewendet. Damit soll den Betroffenen genügend Zeit eingeräumt werden, um sich auf die neue wirtschaftliche Situation vorzubereiten. Wenn die Änderungen in der Gesetzgebung aber zu einer Erhöhung des EL-Anspruchs führen, werden sie sofort angewendet. [17]

Fazit

Zusammenfassend wird ersichtlich, dass die neu eingeführten Massnahmen schlussendlich hauptsächlich dazu dienen, Kosten einzusparen. Besonders ins Gewicht fallen hierbei die Vorschriften zur Lebensführung und über die Verfügungsfreiheit bezüglich des ersparten Vermögens aus Gründen einer angeblichen Missbrauchsbekämpfung. Die neue EL-Reform führt zu einschneidenden Eingriffen in das Privatleben der AHV und IV-Rentner. Auch wenn einige Punkte den Bezügern zwar entgegenkommen (insb. die Anhebung der Mietzinsmaxima) dürften, bleibt die Mehrheit der Änderungen kritisch zu betrachten. Vermutlich werden durch die neuen Regelungen einige Bezüger ihren Anspruch auf Ergänzungsleistungen, zumindest nach Ablauf der dreijährigen Schonfrist, gänzlich verlieren. Fraglich bleibt, wie sich die Betroffenen ihr Existenzminimum dann sichern und ob die gesetzlichen Regelungen über die EL so dem verfassungsmässigen Auftrag und der ursprünglichen Funktion der Ergänzungsleisten überhaupt noch nachkommen.

Fussnoten

  1. BGE 127 V 368, E. 5a, S. 369.

  2. Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV), Hintergrunddokument vom 29. Januar 2020: EL: Wichtigste Massnahmen im Überblick, Reform der Ergänzungsleistungen, 2 (abrufbar unter: https://www.bsv.admin.ch/dam/bsv/de/dokumente/el/faktenblaetter/hintergrunddokument-el-reform.pdf.download.pdf/hintergrunddokument-el-reform.pdf)

  3. BSV, Hintergrunddokument, 1.

  4. Michael E. Meier/Jana Renker, Eckpunkte und Probleme der EL-Reform, Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung und berufliche Vorsorge (SZS) 2020, 2.

  5. Meier/Renker (zit. in Fn. 4), 2.

  6. Meier/Renker (zit. in Fn. 4), 2.

  7. So Meier/Renker (zit. in Fn. 4), 3 mit der Begründung, dass die Vermögensschwelle ansonsten bei CHF 130'000.00 bez. CHF 205'000.00 liegen würde.

  8. Meier/Renker (zit. in Fn. 4), 3.

  9. Mélanie Sauvain, Sozialversicherungen: Was ändert sich 2021?, Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherungen SZS 2021, 40.

  10. Meier/Renker (zit. in Fn. 4), 8.

  11. Meier/Renker (zit. in Fn. 4), 8.

  12. Siehe auch Markus Zimmermann, Die zukünftige Rückerstattung von rechtmässig bezogenen Ergänzungsleistungen (EL), abrufbar unter: https://www.lw-p.ch/de/rechtsthemen/die-zukuenftige-rueckerstattung-von-rechtmaessig-bezogenen-ergaenzungsleistungen-el/.

  13. Meier/Renker (zit. in Fn. 4), 10.

  14. BSV, Hintergrunddokument, 2 f.

  15. Sauvain (zit. in Fn. 9), 39.

  16. BSV, Hintergrunddokument, 3.

  17. BSV, Hintergrunddokument, 6.

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