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Öffentliches Recht

Der Erwerb von schlüsselfertigem Wohneigentum als mehrwertsteuerpflichtige werkvertragliche Lieferung

Die am 1. Januar 2010 in Kraft getretene Revision des Mehrwertsteuergesetzes regelt neu, wann der Verkauf von schlüsselfertig zu erstellendem Wohneigentum als steuerpflichtige werkvertragliche Lieferung gilt. Die Auswirkungen davon sind einerseits eine für die Käufer spürbare Verteuerung des Liegenschaftskaufs und andererseits eine erhöhte Rechtsunsicherheit für die Verkäufer.

Mit der Revision wurde Art. 9 MWSTG (steuerpflichtiger Eigenverbrauch) aufgehoben. Die Abgrenzung zwischen steuerpflichtigem baugewerblichem Eigenverbrauch und steuerfreier Übertragung von dinglichen Rechten an Grundstücken richtete sich früher nach einem einfachen Kriterium: Waren zum Zeitpunkt des Baubeginns Kauf- oder Vorverträge für das ganze Werk oder für selbständige Teile davon bereits abgeschlossen, lag eine steuerpflichtige Leistung für fremde Rechnung vor, der Verkauf löste die Steuerpflicht aus. Andernfalls galten die Arbeiten als auf eigene Rechnung erbracht. Daher war ein späterer Abschluss von Kaufverträgen steuerfrei möglich.

Seit dem 1. Januar 2010 gelangt eine neue Regelung zur Anwendung: Gehört der Boden dem Bauunternehmer (Generalunternehmer, Investor), ist zwischen steuerbaren werkvertraglichen Leistungen und von der Steuer ausgenommenen Liegenschaftsverkäufen zu differenzieren. Die Steuerverwaltung hat hierfür neu einen Katalog von Kriterien definiert, welche kumulativ erfüllt sein müssen, damit eine von der Steuer ausgenommene Grundstückslieferung vorliegt:

a) Der Käufer erwirbt ein fertig geplantes und projektiertes Objekt.

b) Es wird ein (vom Bauunternehmer, Generalunternehmer oder Investor zuvor festgesetzter) Pauschalpreis für Boden und Gebäude bezahlt.

c) Der Käufer kann auf den Bau, die Ausgestaltung des Gebäudes (inkl. Umgebungsarbeiten) und die Leistungserbringer (Handwerker) nur beschränkten Einfluss nehmen.

d) Es liegt nur ein Vertrag vor (Kaufvertrag zwischen Bauunternehmer, Generalunternehmer oder Investor und Käufer über Boden und Gebäude).

e) Nutzen und Gefahr gehen erst nach Fertigstellung auf den Käufer über.

f) Die Bezahlung erfolgt erst nach bezugsbereiter Fertigstellung (eine Anzahlung bis zu einer Höhe von 30% des Kaufpreises ist nicht schädlich).

Sind nicht alle Kriterien erfüllt, ist nur der Verkauf des Bodens von der Steuer ausgenommen, im Falle der Optierung ist allerdings auch dies eine steuerpflichtige Lieferung. Wer Steuern vermeiden will, hat also besondere Vorkehrungen zu treffen.

Löst der Verkauf die Mehrwertsteuer aus, gibt das bernische Recht die Möglichkeit, die Steuer bei der Deklaration der Handänderungssteuer abzuziehen; die Mehrwertsteuer darf nicht als Bemessungsgrundlage für weitere Steuern dienen. Dabei wird differenziert zwischen Geschäften, bei denen bei Vertragsabschluss unter den Parteien Klarheit herrscht, dass die Übertragung der Sache der Mehrwertsteuer unterliegt und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist. In den klaren Fällen ist der Abzug ohne Weiteres zugelassen, wenn der Landanteil im Kaufvertrag ausgeschieden und die Mehrwertsteuer offen auf den Käufer überwälzt wird. In den unklaren Fällen dagegen trägt der Verkäufer das Risiko späterer Steuerpflicht und dem Käufer wird kein Steuerabzug zugestanden. Die bernischen Grundbuchämter weisen ausdrücklich auf diese Unterscheidung hin, gehen mithin davon aus, dass in der Praxis unklare Fälle auftreten werden.

Die Kriterien a, b, d und e sind ohne Weiteres erfüllbar. Die Beschränkung der Höhe von Anzahlungen vor der Fertigstellung auf 30% des Kaufpreises dürfte wohl den Fremdkapitalbedarf erhöhen, lässt sich aber zumindest klar einhalten. Anlass zu Unklarheit mit spürbaren Folgen gibt indessen das Kriterium c: Gemäss geltender MWSTBranchen-Info 04 der Steuerverwaltung ist die Bedingung dann nicht mehr eingehalten, wenn ein Käufer erhebliche Änderungswünsche anbringt. Überschreitet das Saldo aller Mehr- und Minderkosten 5% des Pauschalpreises für Boden und Gebäude, bei Gebäuden im Baurecht 7% des Pauschalpreises für das Gebäude, liegt eine werkvertragliche Lieferung vor – mit der Folge, dass die Übertragung der Sache (ohne Boden) steuerpflichtig wird. Bekanntlich gilt auch beim Bauen: L’appétit vient en mangeant. Der Erwerber einer Stockwerkeinheit muss sich künftig nicht nur nach seinem Budget richten, er hat überdies die Interessen des Verkäufers zu respektieren. Dieser riskiert nämlich, durch das Verhalten des Käufers überhaupt erst mehrwertsteuerpflichtig zu werden und insbesondere 8% Mehrwertsteuer auf dem Pauschalpreis, wohl zusätzlich erhöht um die Summe der Mehr- und Minderkosten, dem Fiskus abliefern zu müssen. Wird dem Käufer in diesem Fall der Abzug der Mehrwertsteuer nicht zugestanden, dürfte die nachträgliche Vereinbarung einer Überwälzung an dessen Widerstand scheitern. Solcherart unklare Fälle liegen somit wahrlich im Risiko der Verkäufer.

Der Gesetzgeber greift damit erheblich in die Gestaltungsfreiheit der Parteien ein. Einerseits ist zum Schutz der Interessen des Käufers im Kaufvertrag die notwendige Transparenz zu wahren. Andererseits sind zum Schutz der Interessen des Verkäufers zum Voraus Regeln zu vereinbaren, welche den Eintritt einer nachträglichen Steuerpflicht ausschliessen, mindestens aber für diesen Fall die Über «Rechtsbrief wälzung der Kostenfolgen vorsehen. Es besteht Regelungsbedarf.

Allenfalls wird zu überlegen sein, neu erstellte Bauten zum Ausschluss jeglichen Risikos in unausgebautem Zustand zu verkaufen. Der Ausbau obliegt dann allein dem Käufer, welcher sich keine Beschränkung seiner Wünsche aus fiskalischen Motiven auferlegen muss. Ob dieses Vorgehen allerdings im wohlverstandenen Käuferinteresse liegt, bleibt offen. Andererseits vereinfachen die beschriebenen Rahmenbedingungen künftige Vertragsverhandlungen sicher nicht. Den Parteien wird viel Verständnis abverlangt für Aspekte, welche ihnen der Fiskus zu regeln auferlegt, ohne dass sie einen konkreten Nutzen daraus haben. Eine mangelhafte Regelung aber schädigt die eine oder die andere Partei.

Im Rahmen dieses Artikels wird lediglich auf den Fall eingegangen, in welchem der Investor/Verkäufer gleichzeitig Eigentümer des Bodens ist. Für die Mehrwertsteuer wie auch die Handänderungssteuer bestehen indessen weitere Besonderheiten. Hierauf einzugehen sprengt jedoch den Rahmen des vorliegenden Beitrags. Es sei aber klar darauf hingewiesen, dass die Rolle des Notars bei der Vorbereitung und Abwicklung solcher Transaktionen an Bedeutung zunimmt. Ob Verkäufer oder Käufer auf dem Kaufpreis zusätzlich 8% Mehrwertsteuer abzuliefern haben oder nicht, ist entscheidend. Eine umfassende und vor allem rechtzeitige Abklärung der Steuerpflicht ist deshalb nötiger denn je.

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