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Privatrecht

Mietrecht in der Praxis: erste praktische Erfahrungen mit der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO)

Im Kanton Bern ist alles neu: Neue, regionale Schlichtungsbehörden, neues Verfahrensrecht. Oder etwa doch nicht? Erste Erfahrungen.

Am 1. Januar 2011 ist anstelle der 26 kantonalen Zivilprozessordnungen die neue Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO) in Kraft getreten. Es gibt einige Änderungen im Verfahrensablauf. Alle Parteien, insbesondere auch die Gerichts- und Schlichtungsbehörden, begeben sich auf Neuland und vieles wird nach dem Grundsatz in dubio pro traditione entschieden.

Die örtliche Zuständigkeit der Schlichtungsbehörden in Mietsachen ist in Art. 33 ZPO geregelt: Auch weiterhin ist der Gerichtsstand von unbeweglichen Sachen aus Miete und Pacht am Ort der Sache. Der Kanton Bern hat die bisherige, grundsätzlich gemeindebezogene Mietamtstruktur aufgehoben und vier regionale Schlichtungsbehörden (Bern-Mittelland, Oberland, Emmental-Oberaargau und Jura-Seeland) geschaffen, welche sich örtlich bei den jeweiligen regionalen Gerichtsbehörden befinden. Die Rechtssuchenden haben sich also an diese vier regionalen Schlichtungsbehörden zu wenden. Ein Verfahren wird mit einem mündlich zu Protokoll gegebenen oder schriftlich eingereichten Gesuch eingeleitet. Entsprechende Gesuchsformulare befinden sich auf der Website der Bernischen Justizverwaltung.[1] Gemäss Art. 203 ZPO sollte die Verhandlung in der Regel innert zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs stattfinden und das Verfahren nach zwölf Monaten abgeschlossen sein. Eine Verschiebung ist nur aus zureichenden Gründen möglich. Die Praxis zeigt, dass die Zweimonatsfrist nicht ganz eingehalten werden kann und bei anwaltlicher Vertretung eine Verschiebung des Termins, wie bis anhin bei Unabkömmlichkeit des Anwalts, ohne Weiteres gewährt wird.

Nach Art. 204 ZPO sind die Parteien verpflichtet, persönlich zur Schlichtungsverhandlung zu erscheinen. Die vier Schlichtungsbehörden des Kantons Bern haben gestützt auf die bisherige Praxis und in analoger Anwendung von Art. 204 Abs. 3 lit. c ZPO entschieden, Liegenschaftsverwalter, welche über eine entsprechende schriftliche Spezialvollmacht verfügen, als Vertreter der Vermieter zuzulassen. In jedem Verfahren ist deshalb ein spezielles Gesuch zur Vertretung durch die Liegenschaftsverwaltung einzureichen und eine schriftliche Spezialvollmacht vorzulegen. Der Verwaltungsvertrag reicht hierzu nicht aus. Liegenschaftsverwaltungen können indessen vor dem Mietgericht (den regionalen Gerichtsbehörden) die Vermieterschaft nicht mehr vertreten, weil der Kanton Bern keine spezialgesetzliche Grundlage geschaffen hat, um diese im gerichtlichen Verfahren zuzulassen. Hier besteht das Anwaltsmonopol.

Insbesondere Ausweisungsbegehren

Befindet sich ein Mieter widerrechtlich in der Wohnung (beispielsweise nach rechtskräftiger Kündigung), konnte nach bisherigem Recht im Rahmen einer einstweiligen Verfügung beim zuständigen Gericht ein formelles Gesuch auf Ausweisung des Mieters (im Rahmen des sogenannten Besitzerschutzes) gestellt werden, welches im summarischen Verfahren und ausser der Reihe behandelt und entschieden wurde. Neu stützt sich das Gesuch auf den sogenannten «Rechtsschutz in klaren Fällen» gemäss Art. 257 ZPO. Es wird im summarischen Verfahren (Art. 248b ZPO) entschieden und es findet kein Schlichtungsverfahren statt (Art. 198a ZPO). Das Gesuch ist an das örtlich zuständige (Ort der gelegenen Sache) Regionalgericht zu richten. Die Liegenschaftsverwaltung ist nicht befugt, ein solches für den Vermieter einzureichen. Es ist zu empfehlen, hierfür einen Anwalt zu beauftragen, weil die prozessualen Fallstricke nicht weniger geworden sind. Der Anwalt wird ein begründetes Gesuch einreichen, welches durch das Gericht der Mieterschaft zur kurzen Stellungnahme zuzustellen ist. Nach unbenutztem Ablauf der Frist zur Stellungnahme oder nach Eingang der Stellungnahme entscheidet das Gericht «schnell» (zurzeit ist mit einer Verfahrensdauer von bis zu 11⁄2 Monaten zu rechnen). Die Regionalgerichte im Kanton Bern entscheiden zurzeit ohne Begründung und versenden lediglich das Urteilsdispositiv (Urteilsformel). Sie entscheiden auch über die Kosten und die Vollstreckbarkeit.

Gegen das Urteil kann die unterlegene Partei entweder Berufung (bei Streitwerten über CHF 10 000.–) oder Beschwerde an das Obergericht erheben. Vorher läuft aber von Gesetzes wegen eine zehntägige Frist, innert welcher die Parteien eine Begründung des Entscheids verlangen können. Verzicht auf die Begründung bedeutet Verzicht auf das Rechtsmittel. Wird aber die Begründung verlangt, beginnt die Rechtsmittelfrist erst mit der Zustellung der Begründung zu laufen! Währenddem die Berufung von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung hat, muss bei der Beschwerde (welche der früheren Nichtigkeitsklage entspricht) die aufschiebende Wirkung durch die beschwerdeerhebende Partei ausdrücklich beantragt und durch das Präsidium des Obergerichts entschieden werden. Aus Sicht der gesuchstellenden Partei stellt sich deshalb die Frage, ob ein Entscheid, die Wohnung beispielsweise innert drei oder fünf Tagen zu räumen und zu verlassen, sofort danach vollstreckt werden kann. Nach Rücksprache mit Gerichtspräsidenten gelange ich zum Schluss, dass der Entscheid innert der zehntägigen Begründungsfrist wohl kaum vollstreckt werden kann, und zwischen dem Verlangen nach Begründung und dem Erhalt derselben wohl ebenso nicht.

Der Mieterschaft, die sich erfolgreich gegen eine sofortige Ausweisung wehren möchte, ist zu empfehlen, die Begründung des Urteils beim Regionalgericht sofort zu verlangen und – in Fällen, in denen nur die Beschwerde zur Verfügung steht – zugleich beim Obergericht um aufschiebende Wirkung nachzusuchen.

Die Schweizerische Zivilprozessordnung hat mit der Einführung der zehntägigen Begründungsfrist hier also eine Rechtsunsicherheit geschaffen. Durch die zehntägige Begründungsfrist erhält die fehlbare Partei offensichtlich einen zusätzlichen «Rechtsschutz», welcher lediglich aus dem Umstand entsteht, dass das Gericht seine Entscheidung grundsätzlich nach Art. 238 ZPO nicht (mehr) begründet. Indessen ist das Gericht berechtigt (aber eben nicht verpflichtet), den Entscheid zu begründen. Wegen der oben geschilderten Unsicherheit ist aus prozessökonomischen Gründen zu fordern, dass die Gerichte ihre Ausweisungsentscheide wieder begründen, weshalb ich empfehle, dieses Begehren dem Gericht gleich beim Gesuch zu stellen. Allenfalls bildet sich hier eine neue Praxis heraus, auch wenn dies mit mehr Aufwand und höheren Gerichtskosten (durch die gesuchstellende Partei vorzuschiessen) verbunden ist. Wird der Mieterschaft ein begründeter Entscheid eröffnet, beginnt mit dessen Erhalt die zehntägige Rechtsmittelfrist zu laufen und im Fall der Beschwerde kann ein Ausweisungsentscheid nach Ablauf der Ausweisungsfrist ohne Weiteres vollstreckt werden. Die Vorteile eines begründeten Entscheids liegen also auf der Hand.

Neue Formulare

Nur am Rand mit der neuen ZPO zu tun hat ein weiterer Hinweis, der an dieser Stelle anzubringen ist: Es kommt bisweilen immer noch vor, dass (vor allem private) Vermieter alte Formulare für Mietzinserhöhungen oder Kündigungen verwenden. Diese sind seit der Einführung der neuen ZPO und der Justizreform im Kanton Bern nach der hier vertretenen Ansicht nichtig geworden. Neue Formulare findet man unter dem angegebenen Link1 bei der Justizverwaltung des Kantons Bern. Allgemein bekannt dürfte bei den Liegenschaftsverwaltungen sein, dass sogenannte Faksimile-Unterschriften bei Mietzinserhöhungen und Kündigungen ungültig sind. Gemäss einem Urteil des Bundesgerichts vom 3. Mai 2010[2] ist aber zusätzlich zu empfehlen, dass die Formulare jeweils durch Personen, welche laut Handelsregister für die Liegenschaftsverwaltung zeichnungsberechtigt sind, unterschrieben werden, da ansonsten die Gefahr besteht, dass sogar Zahlungsaufforderungen nach Art. 275d OR als nichtig betrachtet werden, sofern sich die Mieterschaft darauf beruft.

Handelsgericht als Ausweisungsinstanz?

Wie eingangs erwähnt ist die neue Schweizerische Zivilprozessordnung für alle Parteien Neuland. Die Praxis wird nicht in allen Kantonen gleich sein, auch wenn alle 26 Kantone nun Bundesrecht anzuwenden haben. Das Bundesgericht wird einige Fragen definitiv klären müssen. Beispielsweise erklärte das St. Galler Handelsgericht unlängst[3], auf Gesuche um provisorische Vormerkung eines Bauhandwerkerpfandrechts nach ZGB Art. 837 nicht einzutreten, auch wenn nach hiesiger Ansicht sämtliche Voraussetzungen der Eidgenössischen Zivilprozessordnung für eine Behandlung vor dem Handelsgericht (Streitwert mindestens CHF 30 000.–, geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen, mindestens die beklagte Partei im Handelsregister eingetragen) gegeben sind. Das Berner Handelsgericht betrachtet sich ausdrücklich als zuständig, auch im summarischen Verfahren zu treffende Entscheide zu fällen, wenn die übrigen Kriterien nach Art. 6 ZPO erfüllt sind. Das Handelsgericht kann also auch bei Ausweisungen zuständig sein.

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