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Öffentliches Recht

Um- und Aufzonungen von Grundstücken: Neues wegweisendes Urteil zum Mehrwertausgleich

Die Gemeinden müssen künftig auch bei Um- und Aufzonungen von Grundstücken Mehrwertabgaben erheben und so dafür sorgen, dass erhebliche Planungsvorteile angemessen ausgeglichen werden. Ein Verzicht auf die Erhebung der Mehrwertabgabe bei Um- und Aufzonungen verstösst gegen Art. 5 Abs. 1 RPG [1] und ist somit bundesrechtswidrig. Dies hat das Bundesgericht in seinem lang erwarteten Urteil 1C_233/2021 vom 5. April 2022 im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle entschieden. Dieses neue Urteil betrifft insbesondere den Kanton Bern.

Ausgangslage

Jedes Grundstück ist einer bestimmten Zone zugewiesen (bspw. Bau-, Landwirtschafts- oder Schutzzone), welche die zulässige Nutzung des Bodens festlegt. Die Einteilung in eine bestimmte Zone kann im Laufe der Zeit ändern. Eine Einzonung erfolgt, wenn ein Grundstück von einem Gebiet ausserhalb der Bauzone neu der Bauzone zugewiesen wird. Bei einer Umzonung wird ein Grundstück innerhalb der Bauzone einer anderen Zone mit besseren Nutzungsmöglichkeit zugewiesen. Eine Aufzonung liegt vor, wenn ein Grundstück zwar in der gleichen Zone verbleibt, aber deren Nutzungsmöglichkeit verbessert wird (bspw. W1 in W2).[2]

Die Grundstückeigentümer kommen bei Ein-, Um- und Aufzonungen regelmässig ohne ihr Zutun in den Genuss von Wertsteigerungen des Grundstücks (sogenannte Planungsvorteile), welche es aus Gründen der Rechtsgleichheit auszugleichen oder zu mildern gilt. Art. 5 Abs. 1 RPG schreibt deshalb vor, dass das kantonale Recht einen angemessenen Ausgleich für erhebliche Vor- und Nachteile, die durch Planungen nach dem RPG entstehen, zu regeln hat. Gemäss Art. 5 Abs. 1bis RPG sind Planungsvorteile mit einem Satz von mindestens 20 Prozent auszugleichen.

Der Gesetzgebungsauftrag von Art. 5 RPG kann entweder durch den Kanton selber oder durch die Gemeinden erfüllt werden (BGE 147 255 E. 4.4). Im Kanton Bern sieht Art. 142a Abs. 1 BauG[3] in dieser Hinsicht vor, dass die Gemeinden bei Einzonungen, bei welchen ein Mehrwert anfällt, eine Mehrwertabgabe erheben. Bei Um- und Aufzonungen können die Gemeinden eine Mehrwertabgabe erheben, müssen aber nicht (Abs. 2).

Gestützt auf diese Regelung sieht derzeit die Mehrheit des Kantons Bern in ihren Reglementen vor, dass bei Um- und Aufzonungen keine Mehrwertabgabe erhoben wird.

Urteil 1C_233/2021 des Bundesgerichts vom 2. April 2022

Im besagten Urteil kam das Bundesgericht im Rahmen einer abstrakter Normenkontrolle des Art. 1 des Reglements über die Mehrwertabgabe (MWAR) der Einwohnergemeinde Meikirch (BE) zum Schluss, dass ein Verzicht auf Mehrwertabgaben bei Um- und Aufzonungen gegen Art. 5 Abs. 1 RPG verstösst und damit bundesrechtswidrig ist.

Zur Begründung stützte sich das Bundesgericht zunächst auf den BGE 147 I 225, in welchem das Bundesgericht feststellte, dass Abs. 1 und Abs. 1bis von Art. 5 RPG zueinander in einem Spannungsverhältnis stehen. Dies, da Abs. 1bis zwar als Konkretisierung von Abs. 1 formuliert sei, jedoch nach seinem Wortlaut einzig bei Neueinzonungen einen Mehrwertausgleich zwingend gebiete, während Abs. 1 sich insbesondere auch auf jene erheblichen Planungsvorteile erstrecke, die aus Um- und Aufzonungen entstehen könnten. Es hielt fest, dass der allgemeine Gesetzgebungsauftrag in Abs. 1 neben der ihn konkretisierenden Mindestvorschrift von Abs. 1bis seinen Charakter als bindendes Recht behalte (E. 4.2). 

Das Bundesgericht schloss sich im Urteil 1C_233/2021 vom 2. April 2022 der in BGE 147 I 255 vorgenommenen Auslegung von Art. 5 Abs. 1 RPG an (E. 3.5) und stellte darüber hinaus folgendes fest: Die Bestimmung von Art. 5 Abs. 1 RPG verlange von den Kantonen, mit gesetzlichen Regelungen auch bei Um- und Aufzonungen für einen angemessenen Ausgleich erheblicher Vorteile zu sorgen (E. 3.5). Dieser Gesetzgebungsauftrag könne entweder durch den Kanton selber oder durch die Gemeinden erfüllt werden (E. 4.1 m.V. auf BGE 147 I 225 E. 4.4). Gebe der Kanton den Gesetzgebungsauftrag von Art. 5 Abs. 1 RPG allerdings an die Gemeinden weiter, entbinde ihn dies nicht von der Pflicht, die Erfüllung zu überwachen und durchzusetzen (E.4.3).

Art. 142a Abs. 2 BauG sehe in dieser Hinsicht vor, dass die Gemeinden bei der Zuweisung von Land in einer Bauzone zu einer anderen Bauzonenart mit besseren Nutzungsmöglichkeiten (Umzonung) oder bei der Anpassung von Nutzungsvorschriften im Hinblick auf die Verbesserung der Nutzungsmöglichkeiten (Aufzonung) eine Mehrwertabgabe erheben können. Art. 142 Abs. 4 BauG halte zudem in allgemeinerer Weise fest, dass die Gemeinden den Ausgleich von Planungsvorteilen nach Massgabe des Bundesrechts (Art. 5 RPG) und der Bestimmungen dieses Gesetzes in einem Reglement regeln würden. Vor diesem Hintergrund müssten die Gemeinden den Ausgleich von Planungsvorteilen bei Um- und Aufzonungen vorsehen (E 4.1). Ist ein solcher Ausgleich bei Um- und Aufzonungen nicht vorgesehen, sei Art. 5 Abs. 1 RPG und damit Bundesrecht verletzt (E. 3.1 und 4.5). 

Was bedeutet dies für den Kanton und die Gemeinden?

In Zukunft müssen die Gemeinden auch bei Um- und Aufzonungen von Grundstücken Mehrwertabgaben erheben. Gestützt auf das Urteil hat das Bundesgericht den Kanton Bern und die Gemeinde Meikirch eingeladen (aufgefordert), den Mehrwertausgleich im Sinne von Art. 5 Abs. 1 RPG bundesrechtskonform zu regeln. Die Umsetzung muss insbesondere sowohl dem Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV) als auch dem Willkürverbot (Art. 9 BV) genügen (vgl. Urteil 1C_233/2021 vom 2. April 2022 E. 4.4). Das Urteil betrifft jedoch nicht nur den Kanton Bern, sondern sämtliche anderen Kantone und dessen Gemeinden, welche derzeit auf Um- und Aufzonungen keine Mehrwertabgabe erheben. Es stehen somit zahlreiche Revisionen der betroffenen Reglemente der Gemeinden bevor. Auch eine Revision von Art. 142a Abs. 2 BauG ist zu erwarten.

Fussnoten

  1. Bundesgesetz über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (Raumplanungsgesetz, RPG; SR 700).

  2. Zaugg/Ludwig, Kommentar zum Baugesetz des Kantons Bern vom 9. Juni 1985, Band II, 4. Auflage, 2017, Rz 1 zu Art. 142-142f.

  3. Baugesetz des Kantons Bern vom 9. Juni 1985 (BauG; BSG 721.0).

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