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Strafrecht

Änderungen im Strassenverkehrsrecht per 1. Januar 2021

Auf den 1. Januar 2021 treten Änderungen im Strassenverkehrsrecht in Kraft. Dieser Artikel gibt einen Überblick darüber.

Rechtsvorbeifahren

M. überholt auf der Autobahn bei einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h mit 100 km/h ein Wohnmobil und kehrt nach dem Überholmanöver nicht auf die Normalspur zurück, weil 700 m vor ihm ein Lastwagen auf der Normalspur fährt, den M. auch noch überholen will. Auf der mittleren Überholspur stockt der Verkehr, die Normalspur ist demgegenüber frei. B., der auf der Normalspur fährt, regt sich furchtbar auf. Er fragt sich, ob er an den - auf der mittleren Überholspur fahrenden - Fahrzeugen vorbeifahren darf oder, ob er abbremsen muss.

Aufgrund der neuen Regelung in Art. 36 Abs. 5 Bst. a der revidierten Verkehrsregelnverordnung (VRV) darf B. mit der gebotenen Vorsicht an den - auf der mittleren Überholspur fahrenden - Fahrzeugen vorbeifahren.

Die entsprechende Verordnungsänderung basiert auf einem Bundesgerichtsentscheid aus dem Jahre 2016 [1]. Damals hielt das Bundesgericht fest, dass es den Begriff des Kolonnenverkehrs bislang zu eng gefasst hatte. Neu sei paralleler Kolonnenverkehr bereits dann anzunehmen, wenn es auf der linken (und mittleren) Überholspur zu einer derartigen Verkehrsverdichtung komme, dass Fahrzeuge auf der Überholspur faktisch nicht mehr schneller vorankommen würden als diejenigen auf der Normalspur, also die gefahrenen Geschwindigkeiten annähernd gleich seien. Der parallele Kolonnenverkehr setze nicht voraus, dass sich die Fahrzeugkolonnen auf allen Fahrspuren permanent mit identischer Geschwindigkeit über Einhaltung gleich grosser Abstände fortbewegen würden. Für die Beurteilung, ob ein paralleler Kolonnenverkehr vorliegt, verlangte das Bundesgericht ab 2016 eine Gesamtverkehrsbetrachtung und nicht mehr nur einen Vergleich der Fahrzeugabstände auf den jeweiligen Fahrbahnen. Damit wurde das Kriterium des dichten Verkehrs auf allen Fahrspuren fallen gelassen.

Gemäss den Erläuterungen zur Änderung der Verkehrsregeln- und Signalisationsvorschriften (Verkehrsregelnverordnung, Signalisationsverordnung, Ordnungsbussenverordnung und Nationalstrassenverordnung) vom 10. Dezember 2019erwies sich die vom Bundesgericht geforderte Gesamtbetrachtung in der Praxis als zu anspruchsvoll. Es stellten sich Fragen wie: Welche Streckenlänge soll den Bezugspunkt für die Beurteilung liefern? Kommen die Fahrzeuge auf der linken Spur faktisch nicht mehr schneller voran als diejenigen auf der rechten Spur? Auch zeigte sich in der Praxis, dass die Fahrzeugabstände auf dem Normalstreifen trotz Kolonnenverkehr auf der linken Spur oft derart gross sind, dass nicht mehr von einer Kolonne auf der rechten Spur gesprochen werden kann.

Mit der revidierten Bestimmung sollen die Beurteilungsschwierigkeiten beseitigt, die Vorschrift vereinfacht und präzisiert sowie die Möglichkeiten des Rechtsvorbeifahrens erweitert werden. Dabei gilt es nicht zu vergessen, dass das Rechtsfahrgebot auch weiterhin gilt [2]. Das Rechtsvorbeifahren hat deshalb mit der gebotenen Sorgfalt und einem geringen Geschwindigkeitsüberschuss zu erfolgen. Verboten bleiben alle anderen Fälle des Rechtsvorbeifahrens (insb. das Rechtsüberholen), welche auch weiterhin mit einer Ordnungsbusse geahndet werden.

Weitere wichtige Änderungen der Verkehrsregeln und Signalisationsvorschriften

In seiner Sitzung vom 20. Mai 2020 hat der Bundesrat nicht nur das Rechtsvorbeifahren neu geregelt, sondern diverse weitere Verkehrsregeln und Signalisationsvorschriften verabschiedet, welche am 1. Januar 2021 in Kraft treten werden. Zweck dieser Verordnungsanpassungen ist es, den Verkehrsfluss zu verbessern und gleichzeitig die Verkehrssicherheit zu erhöhen.

Massnahmen im rollenden Verkehr

Wenn auf einer Autobahn eine Spur abgebaut werden muss, gilt neu das Reissverschlussprinzip. Die Fahrzeuglenker auf der verbleibenden Spur müssen die Fahrzeuge von der abzubauenden Spur einschwenken lassen. Das Nichtbeachten des Reissverschlussprinzips wird mit einer Ordnungsbusse geahndet.

Zudem gilt künftig die Pflicht, eine Rettungsgasse zu bilden. Bei einem Stau müssen die Fahrzeuglenker zwischen der linken und der rechten Spur - bei dreispurigen Strassen zwischen der linken und den beiden rechten Spuren - genügend Platz für Rettungsfahrzeuge freilassen, ohne den Pannenstreifen zu belegen. Das Nichtbeachten der Rettungsgasse wird mit einer Ordnungsbusse geahndet.

Massnahmen zugunsten des Langsamverkehrs

Radfahrern und Mofafahrern wird neu gestattet, an Ampeln bei Rot rechts abzubiegen, sofern dies entsprechend signalisiert ist.

Weiter sollen künftig alle Kinder bis 12 Jahre (nicht nur solche bis zum Kindergartenalter) mit dem Velo das Trottoir benützen dürfen - allerdings nur, wenn kein Radweg oder Radstreifen vorhanden ist.

Eine weitere Änderung ermöglicht es künftig, vor Lichtsignalen einen Bereich für Radfahrer zu markieren, auch wenn kein Radstreifen vorhanden ist.

Schliesslich wird eine Umleitungswegweisung für den Langsamverkehr eingeführt.

Massnahmen für den ruhenden Verkehr

Für den ruhenden Verkehr wird neu das Symbol «Ladestation» geschaffen. Damit können Abstellflächen bezeichnet werden, die über eine Ladestation für Elektrofahrzeuge verfügen. Parkfelder mit Ladestationen für Elektrofahrzeuge können neu grün eingefärbt werden.

Markierte Parkierungsflächen können neu mit einem Velopiktogramm für Velos reserviert werden, ohne dass - wie bisher - eine zusätzliche Signalisation erforderlich ist.

Der Geltungsbereich des Signals «Parkieren gegen Gebühr» wird auf alle Fahrzeuge ausgedehnt. Somit können gebührenpflichtige Parkfelder auch für Motorräder, Mofas und schnelle E-Bikes eingeführt werden.

Weitere Änderungen

Der Bundesrat hat in der Nationalstrassenverordnung  (NSV) das Verbot aufgehoben, an Autobahnraststätten Alkohol auszuschenken und zu verkaufen.

Weiter werden für gewisse schwere Motorwagen (über 3,5 Tonnen Gesamtgewicht) Erleichterungen eingeführt (Blutspendedienste werden vom Sonntags- und Nachtfahrverbot sowie Veteranenfahrzeuge vom Sonntagsfahrverbot ausgenommen).

Die zulässige Höchstgeschwindigkeit von leichten Motorfahrzeugen mit Anhängern bis 3,5 Tonnen wird von 80 km/h auf 100 km/h erhöht, sofern Anhänger und Zugfahrzeug für diese Geschwindigkeit zugelassen sind.

Durch eine Anpassung der Verordnung des UVEK über die Tempo-30-Zonen und die Begegnungszonen wird eine weitere Möglichkeit geschaffen, in Tempo-30-Zonen ausnahmsweise vom Grundsatz des Rechtsvortritts abzuweichen (insb. für vortrittsberechtigte Fahrradstrassen).

Schliesslich werden die Weisungen des UVEK über besondere Markierungen auf der Fahrbahn dahingehend ergänzt, dass bei Fussgängerstreifen eine Markierung auf die Strassenbahn hinweisen kann. In den genannten Weisungen wird auch die Möglichkeit vorgesehen, dass geeignete Fussgängerquerungsstellen mit «Füessli» gekennzeichnet werden können. Diese Markierung wird auf dem Trottoir angebracht und soll beispielsweise in Tempo-30-Zonen eingesetzt werden, da dort Fussgängerstreifen nur in Ausnahmefällen markiert werden dürfen.

Für die vollständigen Änderungen wird verwiesen auf:

Dieser Artikel wurde erstmals im Clubmagazin des ACS Sektion Bern Ausgabe 08/2020 veröffentlicht.

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