Öffentliches Recht
Das revidierte Beschaffungsrecht enthält eine ausführliche Liste mit Gründen, wann eine Anbieterin aus einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden kann. Weiter sieht das revidierte Recht Sanktionen für den Fall vor, dass eine Anbieterin in schwerwiegender Weise gegen bestimmte Bestimmungen des Beschaffungsrechts verstösst.
Auf Bundesebene ist das totalrevidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungsrecht am 1. Januar 2021 in Kraft getreten. Auf kantonaler und kommunaler Ebene ist die revidierte interkantonale Vereinbarung (IVöB) von Relevanz. Sie ist im Juni 2021 ebenfalls in Kraft getreten. Die Kantone Aargau, Appenzell Innerrhoden und Thurgau sind der IVöB bereits beigetreten. In anderen Kantonen läuft das Beitrittsverfahren. Der Kanton Bern ist nicht Mitglied der IVöB 2019. Er wendet indessen die IVöB als kantonales Recht mit eigenem Rechtsweg an.
Die Vergabestelle kann eine Anbieterin aus dem Verfahren ausschliessen, diese aus einem Verzeichnis streichen oder ihren Zuschlag widerrufen, wenn einer der in Art. 44 BöB/IVöB genannten Gründe vorliegt. Die Tatbestände für einen Ausschluss können auch von den Organen der Anbieterin oder von den beigezogenen Dritten erfüllt werden.
Ausschluss- und Widerrufsgründe sind beispielsweise das Nichtbezahlen von Steuern, wesentliche Formfehler in einem Angebot oder Abweichungen des Angebotes von den verbindlichen Anforderungen einer Ausschreibung, die Verletzung von Korruptionsvorschriften, unwahre oder irreführende Aussagen und Auskünfte gegenüber der Auftraggeberin sowie die Verletzung von arbeitsrechtlichen Vorschriften oder von Umweltvorschriften. Weiter kann ein Ausschlussgrund auch darin bestehen, dass eine Anbieterin frühere öffentliche Aufträge mangelhaft erfüllt hat oder in anderer Weise erkennen liess, keine verlässliche oder vertrauenswürdige Vertragspartnerin zu sein. Dieser Ausschlussgrund stellt eine zentrale Neuerung im revidierten Beschaffungsrecht dar. Für den Ausschluss müssen hinreichende Belege und Anhaltspunkte vorliegen (Art. 44 Abs. 1 und 2 BöB/IVöB).
Beim Ausschluss oder beim Widerruf des Zuschlages ist jeweils das Verhältnismässigkeitsprinzip und das Verbot des überspitzten Formalismus zu beachten. Beispielsweise können nur geringfügige formelle Mängel in einem Angebot nicht zu einem Ausschluss führen. Der Ausschluss- bzw. Widerrufsgrund muss eine gewisse Schwere aufweisen.
Der Ausschluss aus einem Verfahren kann unabhängig vom Verfahrensstand verfügt werden. E ist auch implizit durch die Zuschlagserteilung an eine andere Anbieterin möglich. Der Ausschluss, die Streichung aus einem Verzeichnis oder der Widerruf eines Zuschlages haben mit einer begründetenVerfügung zu erfolgen. Gegen diese Verfügung kann die betroffene Anbieterin grundsätzlich Beschwerde erheben.
In schwerwiegenden Fällen kann die Vergabestelle eine Anbieterin oder Subunternehmerin von künftigen öffentlichen Aufträgen für die Dauer von bis zu fünf Jahren ausschliessen (Art. 45 Abs. 1 BöB/IVöB). In leichten Fällen kann eine Verwarnung erfolgen. Nach kantonalem Recht droht zudem eine Busse von bis zu 10% der bereinigten Auftragssumme.
Eine Sanktion gegen eine Anbieterin oder Subunternehmerin ist möglich, wenn diese oder ihre Organe:
Auch hier gilt es, das Verhältnismässigkeitsprinzip zu beachten. Bei leichten Verstössen kann eine Verwarnung ausgesprochen werden. Bei wiederholt schwerwiegenden Verletzungen kann ein Ausschluss bis zu fünf Jahren oder auf kantonaler Ebene eine Busse ausgesprochen werden. Auf Bundesebene gilt der Ausschluss nur für die betroffene Auftraggeberin, ausser bei einer Verletzung der Korruptionsvorschriften (Art. 45 Abs. 1 BöB). Auf kantonaler Ebene bestehen Unterschiede hinsichtlich der Wirkung eines Ausschlusses. Je nach Wahl des Kantons beschränkt sich der Ausschluss auf künftige Aufträge unter der Verantwortung der Auftraggeberin, welche den Ausschluss vorgenommen hat. Oder der Ausschluss wirkt hinsichtlich aller künftigen Aufträge auf kantonaler Ebene.
Die beschaffungsrechtlichen Sanktionen schliessen weitere Sanktionen nach anderen Gesetzen jedoch nicht aus. Beispielsweise das Bundesgesetz für Schwarzarbeit sieht eine parallele Sanktionsmöglichkeit vor. Oder bei Verletzungen gegen Arbeitsschutzbestimmungen können Sanktionen nach dem Arbeitsgesetz drohen. Daneben können auch vertragsrechtliche Sanktionen greifen, sofern solche in einem Vertrag zwischen der Auftraggeberin und einer Anbieterin vorgesehen sind.
Sanktionierte Anbieterinnen können sich gegen eine Sanktionsverfügung zur Wehr setzen (Art. 51 ff. BöB/IVöB). Sind sie rechtskräftig sanktioniert, werden sie auf Bundes- und Kantonsebene auf eine schwarze Liste gesetzt. Diese nicht öffentliche Liste der sanktionierten Anbieterinnen und Subunternehmerinnen enthält Angaben über die Gründe für den Ausschluss sowie die Dauer des Ausschlusses
von öffentlichen Aufträgen. Nach Ablauf der Sanktion wird die Anbieterin oder Subunternehmerin wieder aus der Liste gestrichen. Auf Bundesebene wird die Liste durch die Beschaffungskonferenz des Bundes (BKB) geführt. Auf interkantonaler Ebene wird die Liste durch die Geschäftsstelle des InöB geführt.
Das revidierte Beschaffungsrecht enthält eine erweiterte Liste mit Ausschluss- und Widerrufsgründen. Diese Liste wird in der Praxis zu mehr Rechtssicherheit führen. Eine wesentliche Neuerung des revidierten Rechts stellt der Ausschlussgrund der negativen Erfahrungen mit einer Anbieterin aus einem früheren Verfahren dar und die neu vorgesehenen Sanktionsmöglichkeiten. Welche konkreten Anforderungen für den Ausschluss aus einem Verfahren, den Widerruf oder den Erlass von Sanktionen unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsgebotes zu erfüllen sind, wird jedoch in der
Praxis noch zu klären sein.