Öffentliches Recht
Am 1. März 2025 ist in der Schweiz eine wichtige Neuerung in Kraft getreten: Das automatisierte Fahren ist nun gesetzlich verankert und unter bestimmten Voraussetzungen erstmals erlaubt.[1] Mit der Einführung der neuen VAF[2] und der Teilrevision des SVG[3] sowie weiterer flankierender Anpassungen im Strassenverkehrsrecht reagiert der Bundesrat auf technologische Entwicklungen, die in vielen Ländern bereits heute gesetzlich geregelt sind. Während in Deutschland seit 2021 automatisierte Fahrfunktionen auf SAE (The Society of Automotive Engineers)-Level 3 gesetzlich verankert sind, zieht die Schweiz nun mit einer eignen, kontrollierten Regelung nach.[4]
Das Ziel der Reform ist es, den rechtlichen Rahmen für sichere Anwendungen automatisierter Fahrsysteme (AFS) zu schaffen, ohne den menschlichen Fahrenden vorschnell zu ersetzen. Die Schweizer Gesetzgebung verfolgt dabei ein vorsichtiges und etappenweises Modell: Nur bewilligte Systeme mit spezifischem Anwendungszweck dürfen betrieben werden, der Mensch bleibt grundsätzlich in der Verantwortung.
Das automatisierte Fahren wird nicht flächendeckend erlaubt. Zulässig sind nur AFS, die eine Betriebsbewilligung des Bundesamts für Strassen (ASTRA) erhalten haben und in einem definierten Betriebsbereich verwendet werden. Drei konkrete Anwendungen sind in den Artikeln 25b ff. SVG vorgesehen: Erstens der automatisierte Parkdienst (Automated Valet Parking, AVP), bei dem ein Fahrzeug in einem bewilligten Parkhaus autonom einen Parkplatz ansteuert. Zweitens der Autobahn-Chauffeur, bei dem ein Fahrzeug auf Autobahnen selbständig die Lenkung, Beschleunigung und Bremsung übernimmt, während sich die Fahrzeugführerin oder der Fahrzeugführer temporär anderen Nebentätigkeiten widmen darf. Drittens sind nun auch führerlose Fahrzeuge zugelassen, die auf behördlich genehmigten Strecken fahren dürfen, jedoch immer von einer Zentrale aus überwacht und kontrolliert werden müssen. Die sechs SAE-Stufen Das SAE-System dient der Verdeutlichung der verschiedenen Automatisierungsgrade eines Fahrzeuges. Beispielweise ist ein bedingt automatisiertes Fahrzeug in klar definierten Fällen teilweise oder gänzlich zur Führung des Fahrzeuges einsetzbar, das Lenkrad kann jedoch jederzeit wieder der Lenkerin bzw. dem Lenker übergeben werden. Anders verhält es sich beim vollautomatisierten Fahrzeug: Es verkehrt immer selbständig. Die Automatisierung eines Fahrzeuges erfolgt daher in unterschiedlichen Formen und wird entsprechend in sechs Stufen unterteilt, von Level 0 (nicht automatisiert) bis hin zu Level 5 (vollautomatisiert). Die drei neuen AFS, die nun mit der Reform eingeführt werden, entsprechen technisch den SAE-Levels 3 und 4. Entscheidend ist, dass die Fahrerin bzw. der Fahrer nicht permanent eingriffsbereit sein muss, sondern sich auf die Fähigkeit des AFS verlassen darf. Allerdings nur im zugelassenen Bereich und solange keine Übernahmeaufforderung erfolgt, wie z.B. bei Baustellen, schlechten Wetterverhältnissen oder dem Verlassen der Autobahn. AFS, die darüber hinausgehen, wie z.B. Robotaxis im städtischen Umfeld ohne Lenkrad oder Fahrersitz, bleiben weiterhin unzulässig.[5] Ebenso unzulässig sind sogenannte Hands-Off-Funktionen, die nicht ausdrücklich bewilligt sind oder in nicht genehmigte Bereichen zum Einsatz kommen. Dies wird so auch in Art. 25c und Art. 25d SVG festgehalten, wonach der Betrieb eines AFS nur im Rahmen der erteilten Genehmigung erfolgen darf.
Für Fahrzeuglenkerinnen und Fahrzeuglenker bringt die Reform nicht nur technische Neuerungen, sondern auch eine veränderte rechtliche Verantwortung. Zwar dürfen sie sich, in bestimmten Situationen, auf das automatisierte System verlassen, dies aber nur im gesetzlich und betrieblich vorgesehenen Rahmen. Insbesondere beim Autobahn-Chauffeur bedeutet das, dass man sich während der Fahrt anderen Tätigkeiten widmen darf (z.B. Lesen), solange eben keine Übernahmeaufforderung des AFS erfolgt. Damit verschiebt sich die Rolle der Lenkerin bzw. des Lenkers weg von der aktiven Fahrzeugführung hin zur Überwachung und zur Eingriffsbereitschaft.[6] Dies kann zu Unsicherheiten führen: Wann darf ich die Hände vom Steuer nehmen? Wann haftet das System und wann ich selbst? Eins ist klar: Die Verantwortung für die korrekte Nutzung bleibt beim Menschen. Deshalb fordert die neue gesetzliche Regelung auch eine Selbstverantwortung der Lenkerinnen und Lenker, sich über die Funktionsweise des AFS und die Bedingungen der zulässigen Nutzung zu informieren.[7] Zudem werden AFS ab dem 1. Juli 2025 in die theoretische und praktische Führerprüfung integriert und künftig auch im Verkehrskundeunterricht (VKU) behandelt.[8]
Grundsätzlich bleibt das geltende Haftungsregime bestehen.[9] Wird ein Schaden aus dem Betrieb eines Motorfahrzeuges verursacht, haftet die Halterin bzw. der Halter respektive deren obligatorische Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung für Schäden, die Dritten entstehen. Die obligatorische Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung übernimmt im ersten Schritt die Kosten der geschädigten Person und prüft erst in einem zweiten Schritt, wer tatsächlich für den Unfall verantwortlich ist. Im Kontext des automatisierten Fahrens wird jedoch die Rolle der Hersteller an Bedeutung gewinnen, insbesondere wenn ein Unfall während der aktiven Nutzung eines bewilligten AFS erfolgt. In einem solchen Fall kann die Produkthaftung greifen, sofern ein technisches Versagen des AFS vorliegt. Umgekehrt bleibt eine fahrzeugführende Person haftbar, wenn sie die vom AFS geforderte Übernahme der Fahraufgabe nicht wahrnimmt oder das AFS trotz erkennbarer Störung weiterverwendet. Der jeweilige Fahrmodus, d.h. ob der Mensch oder das AFS die Kontrolle hat, lässt sich über den elektronischen Fahrmodusspeicher ("Blackbox") nachvollziehen. Ist ein Unfall jedoch auf eine mangelnde Wartung des Fahrzeugs zurückzuführen, liegt das Verschulden bei der Halterin bzw. beim Halter, unabhängig davon, ob das Fahrzeug teil- oder vollautomatisiert betrieben wurde. Personen, die sich in vollautomatisierten Fahrzeugen ohne Steuer- und Bedienelemente (z.B. Lenkrad oder Pedale) befinden, tragen demgegenüber grundsätzlich keine Verantwortung für das Verkehrsgeschehen.[10]
Die Schweiz geht beim automatisierten Fahren einen eigenständigen und vorsichtigen Weg: Statt einer generellen Zulassung erlaubt sie nur spezifisch bewilligte AFS in klar definierten Einsatzbereichen. Damit schafft die Gesetzgebung einen rechtssicheren Rahmen, der Innovation ermöglicht, ohne die Verkehrssicherheit zu gefährden. Die Verantwortung bleibt grundsätzlich weiterhin beim Menschen, ausser das AFS übernimmt im Rahmen einer Bewilligung nachweislich die Kontrolle. Entscheidend wird künftig sein, wie gut Technik, rechtlicher Rahmen und praktische Umsetzung zusammenspielen, um das Vertrauen in automatisierte Mobilität zu stärken.
Fussnoten
"Bundesrat ermöglicht automatisiertes Fahren", in: News Service Bund. Das Portal der Schweizer Regierung vom 13. Dezember 2024, https://www.news.admin.ch/de/nsb?id=103529 (zuletzt besucht am 16. Mai 2025).
Verordnung über das automatisierte Fahren (SR 741.59).
Strassenverkehrsgesetz (SR 741.01).
RIEDERER MARKUS: "Der Weg hin zum automatisierten Fahren", in: ASTRA vom 19. Oktober 2023, https://blog.astra.admin.ch/weg-autonomen-fahren/ (zuletzt besucht am 16. Mai 2025).
ZAHND BETTINA / BUCHELI DOMINIK / ELSER MIRIAM: Menschen zu Fuss und automatisiertes Fahren, in: Strassenverkehr/Circulation routière 1/2023, S. 47 ff., S. 49.
"FAQ automatisiertes Fahren – Rechtliche Aspekte", in: ASTRA, https://www.astra.admin.ch/dam/astra/de/dokumente/abteilung_strassennetzeallgemein/faq-automatisiertes-fahren.pdf (zuletzt besucht am 16. Mai 2025), Frage 2b.
HUONDER STEFAN / STALDER LORENZ: Rechtsgrundlagen zum automatisierten Fahren, in: Strassenverkehr/Circulation
routière 1/2025, S. 18 ff., S. 28.
"Verordnung über das automatisierte Fahren", in: ASTRA, https://www.astra.admin.ch/astra/de/home/themen/intelligente-mobilitaet/automatisiertes-fahren.html (zuletzt besucht am 16. Mai 2025).
"FAQ automatisiertes Fahren – Rechtliche Aspekte", in: ASTRA, Frage 2a.
HUONDER / STALDER, S. 31 ff.