Strafrecht
Ein schwerer Autounfall mit mehreren Verletzten. Beim letzten Service in der Grossgarage hatte einer der vielen Mechaniker (aber welcher nur?) vergessen, die Bremsflüssigkeit nachzufüllen. Nun wird gegen die Garage ein Strafverfahren eröffnet …
Am 1. Oktober 2003 ist das so genannte Unternehmensstrafrecht in Kraft getreten. Gestützt auf Art. 100quater StGB können nicht mehr nur natürliche Personen, sondern auch Unternehmungen strafrechtlich sanktioniert werden.[1] Erstaunlicherweise wurde aber die genannte Bestimmung bis anhin in der Wirtschaft kaum zur Kenntnis genommen, obwohl im Ernstfall massive Bussen drohen. Es scheint deshalb angebracht, auf die vorhandenen Risiken hinzuweisen und mögliche Präventivmassnahmen vorzustellen.
Der einschlägige Art. 100quater Abs. 1 StGB lautet:
«Wird in einem Unternehmen in Ausübung geschäftlicher Verrichtung im Rahmen des Unternehmenszwecks ein Verbrechen oder Vergehen begangen und kann diese Tat wegen mangelhafter Organisation des Unternehmens keiner bestimmten natürlichen Person zugerechnet werden, so wird das Verbrechen oder Vergehen dem Unternehmen zugerechnet. In diesem Fall wird das Unternehmen mit Busse bis zu 5 Millionen Franken bestraft.»
Neu können auch «Unternehmen» bestraft werden. Als «Unternehmen» gelten gemäss Art. 100quater Abs. 4 StGB:
Erfasst sind also die unterschiedlichsten Rechtsformen. Irrelevant ist sodann auch die Grösse des Unternehmens. Auch KMUs fallen unter Art. 100quater StGB.
Vorausgesetzt ist weiter, dass ein Verbrechen oder ein Vergehen, also ein Delikt begangen wurde, das mindestens mit Gefängnis als Höchststrafe bedroht ist (Art. 9 StGB).[2] Dabei spielt keine Rolle, ob die Straftat vorsätzlich oder fahrlässig verübt wurde.
Das Verbrechen oder Vergehen muss ferner «in Ausübung geschäftlicher Verrichtung im Rahmen des Unternehmenszwecks » verübt worden sein. Die Tragweite dieser Formulierung ist nach wie vor umstritten. Immerhin stellt sie aber klar, dass das Unternehmen nicht bestraft werden kann, wenn zum Beispiel ein Angestellter während der Arbeitspause in ein nahe gelegenes Kaufhaus geht und dort Waren stiehlt (Art. 139 StGB). Verletzt aber ein Generalunternehmer oder auch ein «kleiner» Teilunternehmer die Regeln der Baukunde (Art. 229 StGB), so geschieht dies in Ausübung der Geschäftstätigkeit und im Rahmen des Gesellschaftszwecks.
Das Unternehmen wird grundsätzlich nur bestraft, wenn der eigentliche Täter, also die handelnde natürliche Person, nicht ermittelt werden kann und eine solche Zurechnung gerade deshalb scheitert, weil das Unternehmen mangelhaft organisiert ist.[3] Ein Organisationsmangel ist etwa gegeben, wenn sich nachträglich die Zuständigkeiten nicht mehr eruieren lassen, z. B. wenn anhand des Einsatzplans nicht ermittelt werden kann, wer in einem Spital die Medikamente zusammengestellt und dabei einen Fehler begangen hat.
Macht sich ein Unternehmen wie beschrieben strafbar, droht eine Busse von bis zu fünf Millionen Franken. Die Höhe der Busse bemisst sich nach folgenden Kriterien (Art. 100quater Abs. 3 StGB):
Das Unternehmen als künstliches Gebilde kann selbstverständlich nicht wie ein «normaler» Angeschuldigter einvernommen, verhaftet oder mit Zeugen konfrontiert werden. Für Strafverfahren gegen Unternehmen sind deshalb in Art. 100quinquies StGB besondere Regeln vorgesehen.[4]
Seit dem Inkrafttreten des Unternehmensstrafrechts können neu auch juristische Personen bestraft werden. Die mit einem Strafverfahren verbundenen Risiken (Busse, Imageverlust) sind nicht unerheblich. Es drängt sich deshalb auf, die bestehende interne Organisation präventiv einer gründlichen Prüfung zu unterziehen.
Fussnoten
Früher galt der alte Grundsatz «Societas delinquere non potest». Juristische Personen waren demnach nicht deliktsfähig. Erste Ansätze eines Unternehmensstrafrechts kannte man in der Schweiz etwa im Steuerrecht.
Nicht erfasst sind also insbesondere Übertretungen – diese sind lediglich mit Haft oder Busse bedroht (vgl. Art. 101 StGB).
Die Strafbarkeit des Unternehmens ist also im Prinzip eine subsidiäre. Bei bestimmten Delikten erfolgt indessen eine kumulative Bestrafung des Unternehmens, etwa bei der Geldwäscherei (vgl. Art. 100quater Abs. 2 StGB).
Auf die Details kann hier nicht näher eingegangen werden. Vgl. zu diesem Thema z. B. den im Literaturverzeichnis erwähnten Aufsatz von Niklaus Schmid.