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Privatrecht

Der Erbenschein in der Nachlassteilung: Erfordernis und Nutzen

Mit dem Versterben einer Person fällt das Nachlassvermögen an deren Erben. Um in den Besitz des Nachlasses zu gelangen, bedürfen die Erben als Rechtsnachfolger der verstorbenen Person in aller Regel eines Erbenscheins.

Was ist ein Erbenschein?

Der Erbenschein (auch Erbschein, Erbenbescheinigung oder Erbbescheinigung) ist ein behördliches Dokument, das die darin aufgeführten Personen als Erben einer verstorbenen Person ausweist. Die Mitglieder der Erbengemeinschaft werden – unter Vorbehalt der erbrechtlichen Klagen – im Erbenschein vorläufig festgestellt (Art. 559 Abs. 1 ZGB[1]). Der Erbenschein verschafft den darin ausgewiesenen Personen das provisorische Recht, den Nachlass  gemeinsam in Besitz zu nehmen und darüber zu verfügen, so etwa, um Bankkonten zu saldieren, Grundstücke auf die Erbengemeinschaft übertragen zu lassen oder andere erbrechtliche Angelegenheiten zu regeln. Häufigster Anwendungsfall für einen Erbenschein dürfte die Deblockierung von  Bankkonten der verstorbenen Person sein. Diese werden im Todesfall üblicherweise sofort gesperrt, auch Ehegatten können in der Regel nicht mehr auf Konten zugreifen, über welche beide bis anhin verfügen konnten. Erst nach Vorlage eines Erbenscheins bei der Bank können die Erben auf die Konten der Erblasserin bzw. des Erblassers zugreifen und Zahlungen vornehmen, welche über die Bezahlung reiner Todesfallkosten hinausgehen. In der Regel wird nur ein Original des Erbenscheins ausgestellt, das den betreffenden Stellen zwecks Anfertigung einer Kopie vorgelegt und anschliessend der Erbengemeinschaft wieder ausgehändigt wird. Die Ausstellung mehrerer Ausfertigungen des Erbenscheins ist immer möglich. Zur Übertragung des  Eigentums an Grundstücken auf die Erbengemeinschaft ist für das Grundbuchamt stets eine Ausfertigung des Erbenscheins einzureichen (Art. 65 Abs. 1 Bst. a GBV[2]).

Das Vorliegen des Erbenscheins ändert allerdings nichts am Fortbestand der Erbengemeinschaft als Gesamthandverhältnis und verschafft den Erben keine individuellen Verfügungsrechte. Solange die Erbteilung nicht erfolgt ist, können die Erben weiterhin nur gemeinsam über die Vermögenswerte
des Nachlasses verfügen; der Erbenschein hält bloss die für Handlungen der Erbengemeinschaft erforderlichen Personen fest. Die Übertragung von Konten auf einen einzelnen Erben ist gestützt auf einen Erbenschein nicht möglich, wenn darin mehrere Personen als Erben anerkannt sind. Wollen die Erben in Bezug auf Handlungen der Erbengemeinschaft eine Vereinfachung erzielen, hat dies durch schriftliche Bevollmächtigung eines einzelnen Erben oder eines Dritten als Vertreter der Erbengemeinschaft zu erfolgen.

Es besteht hingegen keine gesetzliche Verpflichtung, die Ausstellung eines Erbenscheins zu verlangen. Die Erbenkönnen unmittelbar die Erbteilung vornehmen und gestützt auf die im Erbteilungsvertrag vereinbarte Zuweisung von Nachlassgegenständen individuell über die Vermögenswerte verfügen und diese in ihr jeweiliges Eigentum übertragen lassen. Die gleiche Wirkung kommt einem Urteil über die Aufteilung des Nachlasses zu. Nicht ausreichend als Nachweis der Erbenstellung ist dagegen die blosse Vorlage einer Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag), auch wenn diese auf den ersten Blick klar und eindeutig erscheinen mag, da eine Anfechtung (und gegebenenfalls die Ungültigkeit) des Testaments bzw. des  Erbvertrages nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Ebenso ist der in der Praxis bei Banken häufig eingereichte Familienausweis –
in vielen Fällen auch das Familienbüchlein – kein Nachweis für die Erbenstellung, da damit nichts über das Vorliegen möglicher Verfügungen von Todes wegen gesagt wird.

Unabhängig des Wortlauts von Art. 559 Abs. 1 ZGB, wonach der Anspruch auf Ausstellung eines Erbenscheins nur den durch eine Letztwillige Verfügung eingesetzten Erben zusteht, wird in der Praxis dieser Anspruch auch jedem gesetzlichen Erben, zuerkannt. Zudem ist  unbestritten, dass die Eröffnung eines Erbvertrages den gleichen Anspruch auf Ausstellung eines Erbenscheins begründet wie ein Testament.

Was ist der Inhalt des Erbenscheins?

Notwendiger Inhalt des Erbenscheins ist – nebst der Wiedergabe der vollständigen Personalien der verstorbenen Person und deren Todestags – die  vollständige und präzise Bezeichnung aller anerkannten Erben mit deren vollständigen Personalien. Wurde dem Ehegatten testamentarisch oder im Erbvertrag die Nutzniessung nach Massgabe von Art. 473 ZGB zugewiesen, ist auch dieser als Nutzniesser zu nennen. Neben den erbberechtigten  Personen muss der Erbenschein auch allfällige Willensvollstrecker, Erbschaftsverwalter, Erbschaftsliquidatoren und Erbenvertreter erwähnen.

Die Angabe der Erbquoten im Erbenschein ist nicht vorgeschrieben und nicht üblich. Bei Grundstücken im Eigentum der verstorbenen Person sind Ort und Grundstücknummer nicht zwingend zu nennen, der Vollständigkeit und Klarheit halber jedoch sinnvollerweise aufzunehmen. Ebenso wenig ist es erforderlich, den Wortlaut von Verfügungen von Todes wegen wiederzugeben.

Wer stellt den Erbenschein aus?

Welche Behörde den Erbenschein ausstellt, ist je nach Kanton unterschiedlich und unterscheidet sich in manchen Kantonen weiter danach, ob die gesetzliche Erbfolge zum Tragen kommt oder mittels Verfügung von Todes wegen Erben eingesetzt worden sind.

Zur Ausstellung eines Erbenscheins für die eingesetzten Erben ist die Behörde am letzten Wohnsitz des Erblassers zuständig (Art. 28 Abs. 2 ZPO[3]). Es ist in der Regel jene Behörde sachlich  zuständig, welche auch die Verfügung von Todes wegen eröffnet hat und von Kanton zu Kanton unterschiedlich ist. Im Kanton Bern sind für Fälle, in denen kein Testament zur Eröffnung gelangt, ausschliesslich die Notarinnen bzw. Notare zuständig (Art. 6 Abs. 4 EG ZGB[4] und Art. 21 Abs. 1 NG[5]). Wenn die verstorbene Person ein Testament hinterlässt, ist die Wohnsitzgemeinde gleichermassen zur Ausstellung des Erbenscheins befugt. Die Kosten für die Ausstellung eines Erbenscheins bemessen sich im Kanton Bern unabhängig der Höhe des Nachlassvermögens nach dem gebotenen Aufwand, sie betragen mindestens CHF 200.– (Art. 12 GebVN[6]). Zusätzlich werden angefallene Drittkosten, namentlich für die eingeholten zivilstandsamtlichen Ausweise, Dokumente und Auskünfte im In- und Ausland, in Rechnung gestellt.

Wann kann der Erbenschein ausgestellt werden?

Der Erbenschein wird nicht von Amtes wegen, sondern nur auf ausdrückliches Begehren der eingesetzten Erben hin ausgestellt. Im Kanton Bern stellt der Notar oder die Notarin regelmässig in allen Fällen, wo über den Nachlass einer verstorbenen Person ein Steuerinventar oder Erbschaftsinventar angeordnet wurde, den Erbenschein aus. In den übrigen Fällen können eingesetzten Erben frühestens nach Ablauf eines Monats seit Eröffnung der Verfügung(en) von Todes wegen bei der zuständigen Behörde die Ausstellung eines Erbenscheins verlangen (Art. 559 Abs. 1 ZGB). Nach Ablauf dieser Frist kann der Erbenschein durch die zuständige Behörde jedoch nur ausgestellt werden, wenn die gesetzlichen Erben oder die aus einer früheren Verfügung Bedachten die Berechtigung der eingesetzten Erben bei der eröffnenden Behörde nicht mittels Einsprache bestritten haben. Weiter ist für die Ausstellung eines Erbenscheins erforderlich, dass die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft für sämtliche Erben abgelaufen ist oder bereits vor Ablauf dieser Frist alle Erben ausdrücklich die Annahme der Erbschaft erklärt haben.

Ist eine Einsprache eingegangen, kann einstweilen kein Erbenschein  ausgestellt werden. Es gilt die Jahresfrist abzuwarten, innert welcher die Einsprechenden eine erbrechtliche Klage anzuheben haben. Lassen sie diese Frist trotz erhobener Einsprache ungenutzt verstreichen, kann nach Ablauf dieser Jahresfrist der Erbenschein ausgestellt werden. Solange kein  Erbenschein ausgestellt werden kann, bleibt die Erbschaft zur Verwaltung entweder bei den gesetzlichen Erben oder wird einem amtlichen Erbschaftsverwalter zur Verwaltung überlassen.

Liegt keine Verfügung von Todes wegen vor und findet die gesetzliche Erbfolge Anwendung, können die gesetzlichen Erben die Ausstellung eines Erbenscheins grundsätzlich erst nach Ablauf der dreimonatigen Ausschlagungsfrist verlangen. Diese beginnt, soweit die gesetzlichen Erben nicht nachweisbar erst später vom Erbfall Kenntnis erhalten haben, im Zeitpunkt des Todes des Erblassers zu laufen. Sofern alle gesetzlichen Erben die Erbschaft bereits vor Ablauf der Ausschlagungsfrist ausdrücklich angenommen haben, kann der Erbenschein nach allseitiger Annahme der Erbschaft ausgestellt werden. Nach Ablauf der Einsprache- und Ausschlagungsfrist kann ein Erbenschein jederzeit verlangt werden, der Anspruch verwirkt und verjährt nicht.

Vorsicht ist geboten, wenn ein Erbe möglicherweise auf das Erbe verzichten, also die Erbschaft ausschlagen möchte. Dann darf er kein Begehren auf Ausstellung eines Erbenscheins stellen. Beantragt ein Erbe einen Erbenschein, kann das als sog. Einmischung (Art. 572 Abs. 2 ZGB) gewertet werden, die dazu führt, dass das Recht auf Ausschlagung verwirkt ist und die Erbschaft als angenommen gilt.

Was besagt der Erbenschein?

Der Erbenschein gibt die Rechtslage wieder, wie sie von der ausstellenden Behörde im Zeitpunkt der Ausstellung gestützt auf die in diesem Zeitpunkt bekannten Belege ermittelt werden kann. Basierend auf einer vorläufigen Beurteilung der ausstellenden Behörde gibt der Erbenschein die Rechtsnachfolge einer verstorbenen Person im Zeitpunkt seiner Ausstellung wieder.

Der Ausstellung des Erbenscheins liegt hingegen keine Auseinandersetzung über die materielle Rechtslage zugrunde. Auch vermag ein Erbenschein die materielle Rechtslage nicht zu verändern.

Mit der abschliessenden Auslegung von Testamenten und Erbverträgen und mit der Frage, ob einer Person tatsächlich materielle Erbenstellung zukommt, befasst sich auf entsprechende Klage hin ausschliesslich der ordentliche Richter und nicht die Behörde, welche den Erbenschein ausstellt. Wurde gegen eine Verfügung von Todes wegen beim Gericht erfolgreich Klage erhoben, verliert ein zuvor ausgestellter Erbenschein seine Bedeutung als  Legitimationsausweis, sobald ein rechtskräftiges Urteil über die erbrechtliche Klage vorliegt. Der Erbenschein muss dafür von der ausstellenden Behörde nicht formell für nichtig erklärt werden, er wird mit dem Urteil automatisch gegenstandslos.

Für die Beantwortung von Fragen im  Zusammenhang mit dem Erbenschein insbesondere bei im Ausland befindlichen Vermögenswerten einer verstorbenen Person mit Wohnsitz in der  Schweiz bzw. einer im Ausland wohnhaften verstorbenen Person stehen Ihnen die Notarinnen und Notare der Advokatur Notariat Lemann, Walz &  Partner jederzeit gerne zur Verfügung.

 

Fussnoten

  1. Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. März 1907 (SR 210).

  2. Grundbuchverordnung vom 23. September 2011 (SR 211.432.1).

  3. Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (SR 272).

  4. Gesetz betreffend die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom
    28. Mai 1911 (BSG 211.1).

  5. Notariatsgesetz vom 22. November 2005 (BSG 169.11).

  6. Verordnung über die Notariatsgebühren vom 26. April 2006 (BSG 169.81).

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