Öffentliches Recht
Das Bundesverwaltungsgericht hat am 24. Februar 2010 die Verfügung der Wettbewerbskommission kassiert, mit welcher die WEKO der Swisscom Mobile AG eine Rekordbusse von CHF 333 365 685.– auferlegt hatte. Die WEKO hatte den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Erzwingen von unangemessenen Terminierungsgebühren festgestellt. Der Rechtsstreit gibt Anlass zu einigen Bemerkungen.
Nach jahrelangen Abklärungen zur Tarifgestaltung der Mobilfunkanbieter verhängte die WEKO am 5. Februar 2007 eine Busse in Rekordhöhe. Die Sanktion betrifft die Terminierungsgebühren, welche Netzbetreiber für die sogenannte Interkonnektion von den Betreibern anderer Netze verlangen. Strittig ist die Periode vom 1. April 2004 bis zum 31. Mai 2005. Die Swisscom meldete der WEKO nach Inkrafttreten von Art. 49a Kartellgesetz am 1. April 2004 eine bestehende Wettbewerbsbeschränkung unter Hinweis auf die bei ihr laufende Untersuchung (Art. 49a Abs. 3 Kartellgesetz). Zweck dieser Meldung war es, Sanktionen zu vermeiden. Klarheit über die rechtliche Tragweite dieser Meldung schaffte aber erst das Bundesgericht mit seinem Entscheid vom 8. Juni 2006. Gemäss Art. 49a Abs. 1 Kartellgesetz kann ein Unternehmen für ein nach Art. 7 Kartellgesetz unzulässiges Verhalten mit einem Betrag bis zu 10% des in den letzten drei Geschäftsjahren in der Schweiz erzielten Umsatzes belastet werden. Nach Ansicht der WEKO war die Abgabe in jenem Zeitraum überhöht, d.h. unangemessen im Sinne von Art. 7 Kartellgesetz; die Swisscom habe diesen Tarif unter Missbrauch ihrer Marktmacht erzwungen. Sunrise und Orange haben zwar für die gleiche Leistung höhere Gebühren verlangt, die ComCom errechnete einen noch höheren Preis, die Untersuchung wurde diesbezüglich jedoch eingestellt.
Die Rechtsunsicherheit nimmt hier ein unerträgliches Mass an. Zur kartellrechtlichen Fragestellung hält das Bundesverwaltungsgericht fest, bis heute bestehe weder in der Schweiz noch im Ausland eine Praxis zur Frage der Erzwingung unangemessener Terminierungspreise. Aus der Rechtspraxis sind daher keine wettbewerbsrechtlichen Kriterien für die Beurteilung der Terminierungspreise erkennbar. In diesem Umfeld erhält die Möglichkeit, einer Sanktion durch Meldung von Wettbewerbsbeschränkungen zu entgehen, besondere Bedeutung. Im vorliegenden Fall vertrat die WEKO indessen die Auffassung, die Meldung befreie die Swisscom nicht. Auf Beschwerde hin entschied demgegenüber die damals zuständige Rekurskommission, der Meldung komme eben diese Wirkung zu. Erst nach Ablauf der Übergangsfrist entschied das Bundesgericht im Sinne der WEKO, setzte im Nachhinein die Swisscom also wiederum dem Sanktionsrisiko aus. Das Bundesverwaltungsgericht hält hierzu fest, die Swisscom habe trotz des für sie günstigen Entscheids der Rekurskommission nicht auf ein gleichlautendes Urteil des Bundesgerichts vertrauen dürfen. Entscheidend sei die Wahlfreiheit, wegen der nach wie vor unsicheren Rechtslage die Wettbewerbsbeschränkung aufzugeben. Ein nicht rechtskräftiges Urteil ist demnach keine Grundlage, auf die sich der Einzelne nach Treu und Glauben verlassen darf. Wo jede Rechtsauffassung begründbar erscheint, die richtige ebenso wie die falsche, ist es bemerkenswert, dass der Rechtsunterworfene das volle Risiko von Sanktionen tragen soll. Im vorliegenden Fall erscheint dieses Ergebnis umso dramatischer, als die Rechtsunsicherheit in formaler ebenso wie in materieller Hinsicht erheblich ist. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts belegt, dass auch in der materiellen Beurteilung gegenteilige Ansichten ohne weiteres begründbar sind. Vor dem Hintergrund derart verschwommener Konturen rechtlicher Regelung erscheint der Schluss des Gerichts reichlich hilflos, die Beschwerdeführerin habe ja die Möglichkeit gehabt, ihr Verhalten zu ändern.
Bemerkenswert ist sodann der Strafrahmen (bis zu 10% des in den letzten drei Geschäftsjahren in der Schweiz erzielten Umsatzes). Damit ergibt sich – so die Swisscom – ein abstrakter Rahmen von 0 bis rund 3 Milliarden Franken. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Frage, ob unter diesen Umständen die Höhe der zu erwartenden Sanktion betragsmässig hinreichend klar vorhersehbar sei, ausdrücklich nicht beantwortet. Angesichts der Ausführungen zum Problem der Rechtsunsicherheit darf man gespannt sein, mit welcher Akrobatik die Instanzen diese Frage in einem nächsten Fall angehen werden.
Erstaunlich ist weiter, dass die WEKO ebenso klar einen Kartellrechtsverstoss feststellte, wie das Bundesverwaltungsgericht einen solchen verworfen hat. Angesichts der Folgen hinterlässt der Umgang mit der zentralen Frage ein ungutes Gefühl. Immerhin überzeugt die Auffassung des Gerichts eindeutig, hat doch die WEKO die Besonderheiten eines stark regulierten Markts nicht berücksichtigt. Ob sich ein Unternehmen kraft seiner Marktbeherrschung gegen den Willen von Konkurrenten durchzusetzen vermag, ist nach den konkreten Gegebenheiten des relevanten Markts zu beurteilen. Dazu gehört hier die Möglichkeit, die ComCom anzurufen. Diese kann zwischen den Parteien vermitteln und nötigenfalls den Interkonnektionspreis festlegen. Dass dieser Aspekt für die WEKO nur von geringer Bedeutung war, ist ein weiterer Beleg für das Ausmass der bestehenden Verunsicherung.
Solche Risiken sind gemeinhin in der Rechnungslegung abzubilden. Es fragt sich allerdings, nach welchem Massstab. Die Swisscom hat dem Vernehmen nach keine Rückstellungen gebildet (vgl. NZZ vom 10. 3. 2010). Es stellt sich die Frage, in welchem Umfang die Revisionsstelle hier eine Freizeichnung verlangt hat, und ob eine solche überhaupt zum Tragen kommen kann. Gleichsam als Schlussbouquet wurde das Urteil mit einer Sperrfrist für die Publikation sogleich zahlreichen Medien zugestellt. Damit wurde die Swisscom börsenrechtlich verpflichtet, den Markt umgehend über den Verfahrensausgang zu orientieren. Mit einer Information erst nach der Berichterstattung in den Medien hätte die Swisscom Art. 53 des Kotierungsreglements der SIX verletzt.
Glücklicherweise agieren erfolgreiche Unternehmungen wesentlich entschlossener als Gerichte. Allerdings bleiben die Risiken einer schwer vorhersehbaren Rechtsprechung erheblich. Auf eine bestimmte Beurteilung einer Streitsache durch die obere Instanz darf man ja, wie gehört, nicht vertrauen. Hier endet das Latein des beratenden Juristen, es zählt nur noch das Verdikt der obersten Instanz: Cave!