Die Revision des Erbrechts – Neuerungen beim Pflic...
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Privatrecht

Die Revision des Erbrechts – Neuerungen beim Pflichtteilsrecht

Seitdem der Bundesrat infolge der Motion Gutzwiller in seinem Bericht «Modernisierung des Familienrechts» vom 25. März 2015 festgehalten hat, dass das geltende Familienrecht die gesellschaftlichen Realitäten nicht genügend widerspiegelt und auch das Erbrecht den heute vielfältigen Lebensformen nicht mehr gerecht wird, war die Revision des schweizerischen Erbrechts in vollem Gange. Die finale Revisionsvorlage wurde in der Wintersession 2020 von der Bundesversammlung angenommen und verabschiedet. Nach unbenutztem Ablauf der Referendumsfrist hat der Bundesrat am 19. Mai 2021 beschlossen, das revidierte Erbrecht auf den 1. Januar 2023 in Kraft zu setzen.

Änderungen der Pflichtteile der Nachkommen und Eltern

Nach geltendem Recht haben Nachkommen, Ehegatten und, in gewissen Fällen, die Eltern Anspruch auf einen Mindestanteil am Nachlass, dem sog. Pflichtteil. Der Erblasser kann im Bereich dieses Pflichtteilsschutzes nicht frei über sein Vermögen verfügen. Um diese Verfügungsfreiheit zu erweitern und zu stärken, wurde im neuen Recht insbesondere dieser Pflichtteilsschutz geändert.

Im Einzelnen wurde die Pflichtteilsquote der Nachkommen von ¾ auf ½ reduziert (Art. 471 ZGB) und der Pflichtteilsschutz der Eltern vollständig gestrichen (Art. 470 Abs. 1 ZGB).

Der Pflichtteil der Ehegatten bzw. eingetragenen Partner bleibt unverändert. Ursprünglich war vom Bundesrat eine Anpassung des Pflichtteils von ½ auf ¼ vorgesehen, jedoch konnte sich diese Reduktion nicht durchsetzen.

Ausgangspunkt der Berechnung der Pflichtteile war und bleibt der gesetzliche Erbteil. Dieser wird im Gegensatz zur Pflichtteilsquote im neuen Recht nicht geändert. Dies bedeutet demnach auch, dass wenn der Erblasser nicht letztwillig über seinen Nachlass verfügt, dieser grundsätzlich genau gleich aufgeteilt wird wie vor der Revision.

Verlust des Pflichtteilsschutzes der Ehegatten bzw. eingetragenen Partner während eines hängigen Scheidungsverfahrens oder Verfahrens zur Auflösung der eingetragenen Partnerschaft

Der Pflichtteilsschutz der Ehegatten bzw. eingetragenen Partner hat seine Grundlage im Willen des Paares, eine Lebens- und Schicksalsgemeinschaft zu bilden, der sich in der Eheschliessung bzw. Begründung einer eingetragenen Partnerschaft offenbart. Fällt dieser Wille weg, so soll auch der Pflichtteilsschutz wegfallen. So sieht es das geltende Recht auch vor. Die Korrektur, welche die Revision ermöglicht, liegt jedoch darin, dass der Schutz nicht erst mit formell rechtskräftigem Abschluss des Scheidungsverfahrens bzw. des Verfahrens zur Auflösung der eingetragenen Partnerschaft wegfällt, sondern bereits bei Einleitung des Scheidungsverfahrens bzw. des Verfahrens zur Auflösung der eingetragenen Partnerschaft. Mit Blick auf den Zweck des Pflichtteilsschutzes der Ehegatten bzw. der eingetragenen Partner ist diese Korrektur konsequent.

Der neu eingeführte Art. 472 ZGB hält fest, dass der überlebende Ehegatte bzw. der eingetragene Partner seinen Pflichtteilsanspruch verliert, wenn beim Tod des Erblassers das Scheidungsverfahren bzw. das Verfahren zur Auflösung der eingetragenen Partnerschaft hängig ist und das Verfahren auf gemeinsames Begehren eingeleitet oder nach den Vorschriften über die Scheidung bzw. die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft auf gemeinsames Begehren fortgesetzt wurde oder die Ehegatten bzw. die eingetragenen Partner mindestens zwei Jahre getrennt gelebt haben.

Zu beachten ist aber wiederum, dass die Ehegatten bzw. die eingetragenen Partner bei mangelnder ausschliessender letztwilliger Verfügung durch den Erblasser bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft der Scheidung oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft das gesetzliche Erbrecht behalten.

Erhöhung der verfügbaren Quote bei Nutzniessung zugunsten der überlebenden Ehegatten oder Partner

Heute steht innerhalb des Familienverbundes vielfach nicht mehr in erster Linie die Weitergabe von Familienvermögen an die Nachkommen im Vordergrund, sondern vielmehr die Paarbeziehung und somit die finanzielle Absicherung des überlebenden Ehegatten bzw. des überlebenden eingetragenen Partners. Dies widerspiegelt sich auch bereits in der Reduktion der Pflichtteile der Nachkommen.

Um eine weitere Besserstellung des überlebenden Ehegatten bzw. des eingetragenen Partners sicherzustellen, wird die Regelung der Nutzniessung an die neu gefassten Pflichtteile für die Nachkommen angepasst.

Nach geltendem Recht kann der Erblasser dem überlebenden Ehegatten die Nutzniessung am gesamten den gemeinsamen Nachkommen zufallenden Teil der Erbschaft zuwenden. Neben dieser Nutzniessung, welche an die Stelle des gesetzlichen Erbteils des überlebenden Ehegatten tritt, kann diesem noch die verfügbare Quote von derzeit ¼ des Nachlasses vermacht werden. Neu soll der verfügbare Teil die Hälfte des Nachlasses betragen. Diese verfügbare Quote entspricht der ordentlichen Quote, wenn der überlebende Ehegatte mit den gemeinsamen Nachkommen teilen muss. Der Erblasser verfügt folglich unabhängig davon, ob er von der Möglichkeit der Nutzniessung Gebrauch macht oder nicht, über dieselbe verfügbare Quote und somit über mehr Verfügungsfreiheit.

Klarstellung bei der überhälftigen Vorschlagszuweisung durch Ehe- und Vermögensvertrag

Bisher war in der Lehre umstritten, ob die überhälftige Vorschlagszuteilung durch Ehevertrag als Zuwendung unter Lebenden oder als Zuwendung von Todes wegen zu qualifizieren sei. Die Beantwortung dieser Frage hat aber erhebliche Auswirkungen auf die Berechnung der Pflichtteile und auf die Reihenfolge der Herabsetzungen, da die Zuwendungen unter Lebenden nach den Verfügungen von Todes wegen herabgesetzt werden.

Das revidierte Erbrecht qualifiziert diese Vorschlagszuweisung ausdrücklich als Zuwendung unter Lebenden. Die überhälftige Vorschlagszuweisung wird bei der Berechnung der Pflichtteile des überlebenden Ehegatten, der gemeinsamen Kinder und von deren Nachkommen nicht hinzugerechnet (Art. 216 Abs. 2 ZGB). Dafür kann diese aber nach dem neuen Recht vorrangig herabgesetzt werden (Art. 532 Abs. 2 ZGB).

Klarstellung der erbrechtlichen Behandlung der gebundenen Selbstvorsorge

Die Frage, ob Ansprüche aus der gebundenen Selbstvorsorge der Säule 3a in den Nachlass fallen oder aus der Erbmasse ausgenommen sind, ist im geltenden Recht umstritten.

Das neue Erbrecht sieht nun vor, dass die gebundene Selbstvorsorge nicht zur Erbmasse gehört. Dies wird in Art. 82 Abs. 4 BVG verankert, welcher vorsieht, dass Begünstigte aus einer anerkannten Vorsorgeform einen eigenen Anspruch auf die ihnen daraus zugewiesenen Leistungen haben. Die Vorsorgeeinrichtungen zahlen die Gelder den Begünstigten direkt aus, ohne vorgängig die Erbengemeinschaft darüber unterrichten zu müssen.

Trotz dieser Bestimmung werden Ansprüche aus der Säule 3a der  Pflichtteilsberechnungsmasse hinzugerechnet; beim Anspruch gegen eine Bankstiftung zum vollen Wert und beim Versicherungsanspruch lediglich zum Rückkaufswert (Art. 476 ZGB). Diese Ansprüche unterliegen der Herabsetzungsklage (Art. 529 ZGB).

Zusammengefasst wurde demnach ausdrücklich festgehalten, dass die gebundene Vorsorge nicht Teil der Erbmasse ist, sofern es jedoch zu Verletzung von Pflichtteilen kommt, der Herabsetzung unterliegt.

Fazit

Unabhängig des Inkrafttretens des revidierten Erbrechts per 1. Januar 2023 lohnt sich die vorzeitige Überprüfung von bestehenden letztwilligen Verfügungen und Erbverträgen, damit diese auch künftig in erbrechtlicher Hinsicht Ihren korrekten letzten Willen widergeben. Hiefür stehen Ihnen die Notare unserer Kanzlei jederzeit gerne zur Verfügung.

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