Die Verteilung und Durchsetzung von Beitragsforder...
Seitenbeginn

Privatrecht

Die Verteilung und Durchsetzung von Beitragsforderungen der ­ Stockwerkeigentümergemeinschaft

Das Stockwerkeigentum

An Grundstücken kann Stockwerkeigentum begründet werden. Stockwerkeigentum ist gemäss Art. 12a Abs. 1 ZGB der Miteigentumsanteil an einem Grundstück, der dem Miteigentümer das Sonderrecht gibt, bestimmte Teile eines Gebäudes ausschliesslich zu nutzen und innen auszubauen. Das Sonderrecht erlaubt demnach einem Stockwerkeigentümer, alle anderen Eigentümer und auch Dritte von bestimmten räumlichen Teilen des Gebäudes auszuschliessen.[1]  Gegenstand des Sonderrechts können gemäss der gesetzlichen Definition von Art. 712b Abs. 1 ZGB insbesondere einzelne Stockwerke oder Teile von Stockwerken sein, die als Wohnung oder als Einheiten von Räumen mit eigenem Zugang in sich abgeschlossen sein müssen.[2]  Nicht zu Sonderrecht ausgeschieden werden können insbesondere der Boden der Liegenschaft und die Bauteile, die für den Bestand und die Festigkeit des Gebäudes von Bedeutung sind oder die äussere Gestalt und das Aussehen des Gebäudes bestimmen. Es handelt sich hierbei um gemeinschaftliche Teile. So sind beispielsweise die Aussenmauern eines Gebäudes zwingend als gemeinschaftliche Teile zu qualifizieren, während innere Mauern und Trennwände ohne Abgrenzungsfunktion auch sonderrechtsfähig sind.[3] 

Die Wertquote

Im Begründungsakt des Stockwerkeigentums sind die räumliche Ausscheidung und der Anteil jedes Stockwerks am Wert der Liegenschaft in Bruchteilen mit einem gemeinsamen Nenner anzugeben. Die Wertquote ist demnach eine abstrakte Verhältniszahl, die den Umfang der Berechtigung des einzelnen Stockwerkeigentümers im Vergleich zu den anderen zum Ausdruck bringt.[4]  Die Stockwerkeigentümer sind in der Berechnung der Wertquoten grundsätzlich frei; in der Regel erfolgt die Bestimmung ausgehend von der Fläche oder des Volumens, wobei auch andere Kriterien wie etwa die Lage oder die Bauqualität berücksichtigt werden können.[5]  Die Wertquote erfüllt mehrere Funktionen innerhalb der Stockwerkeigentümergemeinschaft. Sie ist insbesondere massgebend für die Bestimmung des einfachen oder qualifizierten Mehrs für Beschlüsse in der Stockwerkeigentümerversammlung oder für die Berechnung der Verteilung der gemeinschaftlichen Kosten und Lasten, die in der Praxis erhebliche Relevanz aufweisen. 

Die Verteilung der gemeinschaftlichen Kosten und Lasten

Gemäss Art. 712h Abs. 1 ZGB haben die Stockwerkeigentümer an die Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums und an die Kosten der gemeinschaftlichen Verwaltung Beiträge nach der Massgabe ihrer Wertquoten zu leisten. Solche Lasten und Kosten sind gemäss der gesetzlichen Aufzählung in Abs. 2 dieser Bestimmung insbesondere die Auslagen für den laufenden Unterhalt und die Reparaturen und Erneuerungen der gemeinschaftlichen Teile des Grundstücks und des Gebäudes sowie die Kosten der Verwaltung. Dienen hingegen bestimmte gemeinschaftliche Bauteile, Anlagen oder Einrichtungen einzelnen Stockwerkeigentümern nicht oder nur in ganz geringem Masse, so ist dies gemäss Art. 712h Abs. 3 ZGB bei der Verteilung der Kosten zu berücksichtigen.[6] Es handelt sich hierbei gemäss Bundesgericht um eine Schutzbestimmung, welche zur Anwendung gelangt, wenn die Aufteilung von gewissen gemeinschaftlichen Kosten einzig gemäss den Wertquoten schlechthin unbillig erscheint.[7] 

Die Beschlussfassung über die Kostenverteilung

Die Stockwerkeigentümerversammlung ist also grundsätzlich frei in der Bestimmung eines Kostenverteilschlüssels, der vom ordentlichen Verteilschlüssel gemäss Wertquoten abweicht. Ebenso ist sie frei, zu entscheiden, ob sie eine Abweichung jeweils für das laufende Rechnungsjahr beschliessen oder ob sie den reglementarischen Verteilschlüssel an sich ändern will.[8] 

Das für diesen Beschluss erforderliche Mehr hängt davon ab, ob das Reglement den Verteilschlüssel regelt, was nicht immer der Fall sein muss. In der Praxis bestehen etwelche Stockwerkeigentümergemeinschaften, die gänzlich ohne Reglement auskommen. Besteht kein Reglement oder enthält das Reglement keine Bestimmung zur Verteilung der Kosten [9] , genügt ein Beschluss mit einfachem Mehr zur Abänderung der Kostenverteilung (Art. 712m Abs. 1 Ziff. 4 ZGB). Bei der Übernahme von Art. 712h Abs. 1 ZGB in das Reglement muss ein Abänderungsbeschluss mindestens mit dem für die Abänderung des Reglements notwendigen Mehr gemäss Art. 712g Abs. 3 ZGB (Mehrheit der Stockwerkeigentümer, die zugleich zu mehr als der Hälfte anteilsberechtigt ist) ­ beschlossen werden.[10] 

Die Anfechtung von Beschlüssen der Stockwerkeigentümergemeinschaft

Beschlüsse einer Stockwerkeigentümergemeinschaft (wie ausgeführt zum Beispiel über die Verteilung von gemeinschaftlichen Kosten) können gegen das Reglement oder auch das Gesetz verstossen. Für diesen Fall sieht das Gesetz gemäss Art. 712m Abs. 2 in Verbindung mit Art. 75 ZGB die sog. Anfechtungsklage vor. Diese räumt den Stockwerkeigentümern, welche anlässlich einer Eigentümerversammlung unterlegen sind, die Möglichkeit ein, sich gerichtlich gegen einen Beschluss zur Wehr zu setzen. Es handelt sich hierbei um ein Instrument des Minderheitenschutzes.[11]  Voraussetzung für die Anfechtung eines Beschlusses ist die Widerrechtlichkeit. Widerrechtlich ist ein Beschluss dann, wenn er eine gesetzliche Bestimmung (etwa, wenn luxuriöse bauliche Massnahmen gemäss Art. 647e Abs. 1 ZGB nicht einstimmig beschlossen werden) oder eine Bestimmung der Gemeinschaftsordnung (wenn beispielsweise die Einberufungsfrist der Versammlung gemäss dem Reglement nicht eingehalten wird) verletzt.[12] Zur Anfechtungsklage legitimiert sind die Stockwerkeigentümer, selbst diejenigen, welche an der Versammlung weder anwesend noch vertreten waren. Wer hingegen einem Beschluss zugestimmt hat, kann diesen nachträglich bloss noch wegen Willensmängeln (zum Beispiel einem Irrtum) mit Klage anfechten.[13] Die Anfechtungsklage muss gemäss Art. 75 ZGB innert 30 Tagen seit Kenntnisnahme des Beschlusses angehoben werden, ansonsten ist die Klage verwirkt. Die Frist kann durch Einreichung eines Schlichtungsgesuchs im Sinne von Art. 202 Abs. 1 ZPO gewahrt werden.

Die Durchsetzung der Beitragsforderungen

Die Stockwerkeigentümergemeinschaft ist in hohem Masse von den finanziellen Beiträgen der Eigentümer abhängig. Zur Durchsetzung der Beitragsforderungen sieht das Gesetz insbesondere das Gemeinschaftspfandrecht gemäss Art. 712i ZGB vor.[14] 

Gemäss dieser Bestimmung hat die Gemeinschaft für die auf die letzten drei Jahre entfallenden Beitragsforderungen Anspruch gegenüber jedem jeweiligen Stockwerkeigentümer auf Errichtung eines Pfandrechts an dessen Anteil. Die Eintragung kann vom Verwalter oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, von jedem dazu durch Mehrheitsbeschluss oder durch das Gericht ermächtigten  Stockwerkeigentümer verlangt werden.

Das Bundesgericht hatte sich bislang noch nicht dazu geäussert, wie die Dreijahresfrist nach Art. 712i Abs. 1 ZGB berechnet wird. In einem ausführlichen Urteil hat sich das Bundesgericht kürzlich nun dafür ausgesprochen, dass die Dreijahresfrist durch Rückrechnung ab Stellung des Begehrens um Eintragung des Gemeinschaftspfandrechts zu berechnen ist.[15] 

Das Gemeinschaftspfandrecht wird durch Eintragung ins Grundbuch begründet.[16] Wird die offene Beitragsforderung nicht bezahlt, kommt es zur Zwangsverwertung des Anteils des säumigen Stockwerkeigentümers, um aus dem Erlös die offenen Forderungen zu begleichen. 

Schliesslich kann darauf hingewiesen werden, dass eine wiederholte und böswillige Verletzung der Leistungspflicht zum Ausschluss eines Stockwerkeigentümers im Sinne von Art. 649b Abs. 1 ZGB führen kann, sollte die Pflichtverletzung derart sein, dass die Fortsetzung der Gemeinschaft nicht mehr zugemutet werden kann. Zuständig für den Beschluss ist das Gericht, mithin können weder der Verwalter noch die Stockwerkeigentümergemeinschaft selbst einen Ausschluss anordnen.[17] 

Fussnoten

  1. SVIT-Kommentar Wermelinger, N. 22 zu Art. 712a ZGB.

  2. Vgl. dazu Tuor/Schnyder/Schmid, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, § 101 N. 48, wonach die Bezeichnung «Stockwerkeigentum» eigentlich schon in dem Sinn irreführend ist, als es sich in Wirklichkeit um Miteigentum handelt. So bedeute weiter der Name nicht, dass nur ganze Stockwerke als Sonderobjekte in Frage kommen. Vielmehr können  Gegenstand dieser Sonderrechte sowohl Stockwerke sein als auch Teile von Stockwerken, die als Wohnungen oder Einheiten von Räumen zu bestimmten Zwecken in sich abgeschlossen und mit eigenem Zugang versehen sind. 

  3. Zur genauen Abgrenzung vgl. SVIT-Kommentar Wermelinger, N. 96 ff. zu Art. 712b ZGB.

  4. SVIT-Kommentar Wermelinger, N. 1 zu Art. 712e ZGB; die Wertquoten müssen mit einem gemeinsamen Nenner beziffert werden, also zum Beispiel 1/3, 1/5, 1/10'000 etc.

  5. Zum Ganzen: SVIT-Kommentar Wermelinger, N. 33 ff. zu Art. 712e ZGB.

  6. Vgl. als Beispiel BGer 5A_357/2022, 8. November 2023, E. 5.1.3., wonach gewisse Stockwerkeigentümer, deren Stockwerkeinheiten baulich gar nicht mehr realisiert werden konnten (mithin also nur «auf dem Papier» bestanden), von den gemeinsamen Kosten und Lasten befreit worden sind. 

  7. BGer 5A_357/2022, 8. November 2023, E. 5.1.1.

  8. BGer 5A_357/2022, 8. November 2023, E. 5.1.2.1.

  9. In der Praxis dürfte dies allerdings eher selten vorkommen, da die meisten Reglemente standardmässig derartige Klauseln enthalten.

  10. BGer 5A_357/2022, 8. November 2023, E. 5.1.2.3.

  11. SVIT-Kommentar Wermelinger, N. 203 zu Art. 712m ZGB.

  12. Das heisst, die Zweckmässigkeit eines Beschlusses kann nicht gerichtlich überprüft werden; CHK Wermelinger, N. 14 zu Art. 712m ZGB; SVIT-Kommentar Wermelinger, N. 220 zu Art. 712m ZGB. 

  13. SVIT-Kommentar Wermelinger, N. 223 zu Art. 712m ZGB.

  14. CHK Wermelinger, N. 1 ff. zu Art. 712i ZGB; SVIT-Kommentar Wermelinger, N. 1 zu Art. 712i ZGB.

  15. BGer 5A_357/2022, 8. November 2023, E. 6.2.1.12.

  16. SVIT-Kommentar Wermelinger, N. 37 zu Art. 712i ZGB.

  17. CHK Wermelinger, N. 9 zu Art. 712a ZGB; SVIT-Kommentar Wermelinger, N. 214 zu Art. 712a ZGB.

Artikel speichern

pdf (120 KB)

Artikel teilen

Share