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Strafrecht

Geschwindigkeitsüberschreitung im Bereich einer Baustelle auf der Autobahn

A. fuhr am Samstag um 22:35 Uhr mit seinem Fahrzeug auf der Autobahn A1 Richtung Lausanne. Dabei passierte er einen Baustellenabschnitt, auf welchem die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h auf 80 km/h herabgesetzt war. Aufgrund des geringen Verkehrsaufkommens und keiner erkennbaren Aktivitäten auf der Baustelle, reduzierte er die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges lediglich auf 111 km/h (nach Abzug der Sicherheitsmarge von 6 km/h).

Aufgrund der Geschwindigkeitsüberschreitung von 31 km/h wurde A. erstinstanzlich vom Polizeigericht Genf wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung zu einer Busse von CHF 5'000.00 verurteilt. Im Berufungsverfahren erkannte das Obergericht Genf sodann auf eine grobe Verkehrsregelverletzung und verurteilte A. zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen à CHF 810.00, unter Anordnung einer Probezeit von 3 Jahren, sowie einer Busse von CHF 2'000.00.[1] Dieser Entscheid wurde vom Bundesgericht bestätigt.

Bundesgerichtsentscheid vom 25. Februar 2021 (6B_973/2020)

Vor Bundesgericht umstritten war die Einstufung der Geschwindigkeitsüberschreitung von "lediglich" 31 km/h auf einer Autobahn als grobe Verkehrsregelverletzung.

Das Bundesgericht bestätigte jedoch, dass die von der Rechtsprechung definierten Grenzwerte bei Überschreitungen der erlaubten Höchstgeschwindigkeit (vgl. untenstehende Tabelle) auf Baustellenabschnitten auf der Autobahn nicht angewendet werden. Es folgte dabei der Begründung der Vorinstanz, wonach Grenzwert von 35 km/h auf Autobahnen für die Einordnung als grobe Verkehrsregelverletzung auf Normalfälle zugeschnitten sei, bei denen die zulässige Höchstgeschwindigkeit 120 km/h betrage. Der Grenzwert von 35 km/h könne jedoch nicht ohne Weiteres auf Autobahnabschnitte übertragen werden, auf denen die Geschwindigkeit aus Sicherheitsgründen – beispielsweise wegen einer Baustelle – auf 80 km/h begrenzt sei. In einem solchen Fall sei das Gefahrenpotential mit einer Ausserortsstrecke und nicht mit einer Autobahn vergleichbar. Dies rechtfertige es, bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung bei Baustellenabschnitten auf der Autobahn, die Grenzwerte für eine Strasse ausserorts anzuwenden (E. 2.1.). Entsprechend sei die vorliegende Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 km/h als grobe Verkehrsregelverletzung zu qualifizieren.[1]

Weiter brachte A. vor, dass die Vorinstanz die objektive Voraussetzung der erhöhten abstrakten Gefahr zu Unrecht als erfüllt angesehen habe, da nicht nachgewiesen worden sei, dass sich Arbeitnehmer in der Nähe der Baustelle aufgehalten hätten oder aufhalten hätten können. Ferner sei nicht festgestellt worden, ob sich zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung andere Verkehrsteilnehmer auf dem betreffenden Strassenabschnitt befanden, geschweige denn, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung eine Gefährdung für diese hätte darstellen können (E. 2.3).

Das Bundesgericht entgegnete hierzu, dass allein das Vorhandensein von Baustellen eine besondere Gefahr bedeute. Die 80 km/h-Beschränkung gelte während der ganzen Dauer der Arbeiten und unabhängig von der Tageszeit der Arbeiten. Aus diesem Grund sei es nicht erheblich, ob zur fraglichen Zeit tatsächlich Bauarbeiter auf der Baustelle tätig oder andere Verkehrsteilnehmer anwesend waren (E. 2.3 f.).

Gesetzliche Grundlagen

Art. 90 SVG unterscheidet drei verschiedene Qualifikationsniveaus von Verkehrsregelverletzungen: die einfache, die grobe und die krasse Verkehrsregelverletzung.[2]

Eine einfache Verkehrsregelverletzung begeht, wer Verkehrsregeln gemäss SVG oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. Eine einfache Verkehrsregelverletzung wird mit Busse bestraft.[3] Je nach Schwere der Widerhandlung und Vorbelastung des Fahrzeugführers wird zusätzlich zur Busse eine Verwarnung ausgesprochen[4] oder der Fahrzeugausweis für mindestens einen Monat entzogen.[5] In besonders leichten Fällen wird auf jegliche Massnahme verzichtet.[6]

Eine grobe Verkehrsregelverletzung begeht, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Sie wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.[7] Zudem droht ein Entzug des Führerausweises von mindestens drei Monaten (bei unbelasteten Fahrzeugführern).[8]

Um bei Geschwindigkeitsüberschreitungen die Gleichbehandlung zu gewährleisten, hat die Rechtsprechung Grenzwerte definiert, welche bei der Einordnung als einfache oder grobe Verkehrsregelverletzung heranzuziehen sind.[9] Werden diese Grenzwerte überschritten, wird i.d.R. ungeachtet der konkreten Umstände des Falles eine grobe Verkehrsregelverletzung angenommen. Differenziert wird lediglich nach der Art der Strasse, auf der die Geschwindigkeitsüberschreitung geschieht.[10] Im Kanton Bern finden sich die Grenzwerte in den vom Verband Bernischer Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte (VBRS)[11] herausgegebenen Richtlinien für die Strafzumessung:

Bei Geschwindigkeitsüberschreitungen um min. 40 km/h bei einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h, um min. 50 km/h bei einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h, um min. 60 km/h bei einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h oder bei min. 80 km/h bei einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von mehr als 80 km/h liegt eine krasse Verkehrsregelverletzung vor, welche mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren bestraft wird.[1]

Fazit

Wird bei Baustellenabschnitten auf einer Autobahn die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h auf 80 km/h reduziert, finden bei Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht die Grenzwerte für die Autobahn, sondern die der Strassen ausserorts zur Anwendung. Mit der Folge, dass eine grobe Verkehrsregelverletzung bereits bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung um ≥ 30 km/h (anstelle um ≥ 35 km/h) vorliegt.

Bei Baustellenabschnitten auf einer Autobahn ist somit Vorsicht geboten. Herabgesetzte Höchstgeschwindigkeiten sind sowohl tagsüber als auch in der Nacht – unabhängig davon, ob die Bauarbeiten stillstehen oder nicht –einzuhalten, ansonsten drohen schwerwiegende Sanktionen.

Fussnoten

  1. Arrêt AARP/212/2020 du 18 juin 2020 de la Chambre pénale d'appel et de révision de la Cour de justice genevoise.

  2. Vgl. Bundesgerichtsentscheid (BGE) 143 IV 508 vom 13. November 2017, E. 1.3.

  3. FIOLKA in: Niggli/Probst/Waldmann [Hrsg.], Basler Kommentar Strassenverkehrsgesetz, N 6 zu Art. 90.

  4. Art. 90 Abs. 1 SVG.

  5. Art. 90 Abs. 1 SVG.

  6. Art. 16a Abs. 2 und Art. 16b Abs. 2 SVG.

  7. Art. 16a Abs. 4 SVG.

  8. Art. 90 Abs. 2 SVG.

  9. Art. 16c Abs. 1 Bst. a SVG.

  10. FIOLKA, a.a.O., N 67 zu Art. 90.

  11. BGE 122 IV 173 E. 2. bb.

  12. Abrufbar unter: https://www.justice.be.ch/justice/de/index/strafverfahren/strafverfahren/ formulare_merkblaetter.html.

  13. Kantonale Ordnungsbussenverordnung vom 18. September 2002 des Regierungsrats des Kantons Bern (KOBV; BSG 324.111).

  14. Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG.

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