Revision des internationalen Erbrechts
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Privatrecht

Revision des internationalen Erbrechts

Am 1. Januar 2025 tritt das revidierte Erbrecht des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) in Kraft. Die Änderungen betreffen vor allem die Zuständigkeit der Schweizer Nachlassbehörden im internationalen Kontext.

Die Bestimmungen des IPRG sind bei allen Nachlässen mit Auslandbezug beachtlich. Ein Auslandbezug kann sich für Schweizer Erblasser ergeben, wenn sich ihr letzter Wohnsitz im Ausland befand oder sie Vermögenswerte im Ausland hinterlassen. Auf Erblasser mit ausländischer Staatsangehörigkeit findet das Schweizer IPRG Anwendung, wenn sie zuletzt in der Schweiz Wohnsitz hatten oder in der Schweiz gelegene Vermögenswerte in ihren Nachlass fallen. Schliesslich kann sich eine Anwendbarkeit des IPRG aufgrund einer Zuständigkeits- oder Rechtswahl ergeben. Nebst der zuständigen Behörde bestimmt das IPRG auch das anwendbare materielle (Erb-)Recht.

Schwierigkeiten im internationalen Kontext ergeben sich daraus, dass jedes Land seine eigenen internationalen Zuständigkeits- und Rechtsvorschriften hat, was Kollisionen oder parallele Zuständigkeiten mit sich bringen kann. Die Schweiz hat zudem einzelne Staatsverträge abgeschlossen, die dem IPRG vorgehen, so etwa mit Italien. Nach einer kurzen Einführung zu den Hintergründen der Revision werden die wichtigsten Grundsätze des internationalen Erbrechts wiederholt sowie die bedeutendsten Neuerungen behandelt. Gestartet wird dabei mit den Fällen, in welchen die Schweizer Nachlassbehörden zuständig sind, gefolgt von  Ausführungen zum anwendbaren materiellen Recht und zur Anerkennung ausländischer Rechtsakte. Ist im Folgenden von Behörden die Rede, sind nebst Nachlassbehörden auch Gerichte gemeint.

1.    Hintergründe der Revision

Ziel der Revision ist eine Angleichung des schweizerischen internationalen Erbrechts an die im Jahr 2015 in Kraft getretene neue Europäische Erbrechtsverordnung (EU-ErbVO, Verordnung EU Nr. 650/2012). Obwohl die EU-ErbVO in der Schweiz nicht  Anwendbar ist, können sich aus den weitgefassten Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten Auswirkungen ergeben auf Nachlässe von Personen mit Wohnsitz in der Schweiz oder von im Ausland wohnhaften Schweizern. In erster Linie bezweckt die Revision des IPRG eine Reduktion sich widersprechender Entscheidungen unterschiedlicher Nachlassbehörden.

2.    Zuständigkeit

Beim Tod eines Schweizer Bürgers mit letztem Wohnsitz in der Schweiz erstreckt sich die Zuständigkeit von schweizerischen Behörden grundsätzlich auf sein gesamtes weltweites Vermögen. Zuständigkeitskonflikte können sich ergeben, wenn ein anderer Staat eine ausschliessliche Zuständigkeit  für die in seinem Staatsgebiet gelegenen Vermögenswerte (z.B. Grundstücke) vorsieht. In einem solchen Fall entfällt die Zuständigkeit der schweizerischen Behörden in Bezug auf diese ausländischen Vermögenswerte.

Befand sich der letzte Wohnsitz bzw. Aufenthalt eines Schweizer Bürgers im Ausland, sind die Zuständigkeiten oft weniger offensichtlich. Ebenso bei ausländischen Staatsangehörigen mit letztem Wohnsitz und/oder Vermögenswerten in der Schweiz.

Aus Sicht der Schweiz kommen somit als Staaten mit möglichen Zuständigkeitskonflikten der Heimatstaat des ausländischen Erblassers in Betracht sowie bei einem Schweizer Erblasser der Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts oder der Lagestaat von Vermögenswerten.

Auch nach der Revision des IPRG lassen sich parallele Verfahren nicht immer vermeiden. Für diese Fälle sollte aber zumindest die Grundlage geschaffen werden, dass alle Behörden dasselbe Recht anwenden.

2.1.   Zuständigkeiten schweizerischer Behörden und Gerichte

I.   Ausdrückliche Zuständigkeitsanordnung und/oder Rechtswahl zugunsten Schweizer Recht

Aufgrund der hohen Praxisrelevanz sei an dieser Stelle der Grundsatz wiederholt, dass ein Schweizer Bürger mit Wohnsitz im Ausland die Zuständigkeit der schweizerischen Heimatbehörden letztwillig (Testament/Erbvertrag) anordnen kann. Diese Wahl kann für den gesamten Nachlass oder nur für einzelne oder alle in der Schweiz gelegenen Vermögenswerte (z.B. Grundstück) getroffen werden. Indem mit der Revision der Begriff «Vermögen» durch «Vermögenswerte» ersetzt wurde, wird die Möglichkeit einer schweizerischen Zuständigkeit bloss für einzelne Nachlassgegenstände klar eröffnet.

Ebenfalls möglich ist die indirekte Begründung einer ­ Zuständigkeit von Schweizer Behörden durch die letztwillige Wahl von schweizerischem materiellem Recht auf den Nachlass. Ist dies nicht gewollt, kann trotz Wahl schweizerischen materiellen Rechts die Zuständigkeit der ausländischen Behörde ausdrücklich vorbehalten werden (Art. 87 Abs. 2 revIPRG). Ein solcher Vorbehalt hätte die Anwendung materiellen Schweizer Rechts durch eine ausländische Behörde zur Folge, was gut überlegt sein will.

II.   Subsidiäre Zuständigkeit bei Schweizer Erblasser mit letztem Wohnsitz im Ausland («Auslandschweizer»)

Grundsätzlich wird der Nachlass bei einem Wohnsitz im Ausland durch die Behörden am letzten ausländischen Wohnsitz abgewickelt. Befasst sich diese Behörde nicht mit dem Nachlass, sind die Schweizer Behörden am Heimatort des Erblassers auch nach revidiertem Recht für den Nachlass zuständig (Art. 87 Abs. 1 IPRG). Diese Möglichkeit ist indessen nicht neu, hat aber einzelne Klarstellungen im Wortlaut erfahren.

III.   Ausländischer Erblasser mit letztem Wohnsitz in der Schweiz und Vermögenswerten in der Schweiz und/oder im Ausland

Auch bei ausländischen Erblassern sind gemäss Art. 86 Abs. 1 IPRG grundsätzlich die schweizerischen Behörden an ihrem letzten Schweizer Wohnsitz zuständig – es besteht also kein Unterschied zu Schweizer Erblassern.

Ob die Rechtsordnung des Heimatstaats ebenfalls eine Zuständigkeit seiner Behörden begründet, ist nicht Gegenstand des schweizerischen internationalen Erbrechts. Möglich ist aber die ausdrückliche Wahl zugunsten der ausländischen Heimatbehörden anstelle derjenigen der Schweiz (siehe 2.3).

IV.   Ausländischer Erblasser mit letztem Wohnsitz im Ausland und Vermögenswerten in der Schweiz

Schliesslich können in der Schweiz gelegene Vermögenswerte die Zuständigkeit der Schweizer Behörden begründen. Diese Auffangzuständigkeit für die schweizerischen Vermögenswerte besteht nur, sofern sich die Behörden des ausländischen Wohnsitzstaats mit diesen Nachlasswerten nicht befassen (Art. 88 Abs. 1 revIPRG).

Die neu verwendete Bezeichnung «Lageort» stellt klar, dass nebst Grundstücken auch mobile Vermögenswerte wie Bankkonten relevant sind.

2.2.    Fehlende Zuständigkeit zufolge Rechtshängigkeit eines Nachlassabwicklungsverfahrens in einem Drittstaat

Keine Zuständigkeit der schweizerischen Behörden besteht, wenn zwischen denselben Parteien in einem Drittstaat bereits ein Verfahren mit identischem Streitgegenstand rechtshängig ist.

Massgebend für die Rechtshängigkeit ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Gesuchseinreichung. In der Praxis dürfte aber wohl auf den Zeitpunkt der ersten Massnahme nach Art. 551 ff. ZGB abzustellen sein, beispielsweise die Siegelung oder die Anordnung eines Inventars. Grundsätzlich bildet das Nachlassverfahren eine Einheit und es sind nicht die einzelnen Teilverfahren (Testamentseröffnung, Ausstellung Erbenschein usw.) zu betrachten (Art. 88a revIPRG i.V.m. Art. 9 IPRG).

2.3.    Möglichkeit der Wegbedingung der schweizerischen Zuständigkeit

Die Möglichkeit zur Wegbedingung der Zuständigkeit der schweizerischen Behörden mittels Testament oder Erb­ vertrag ist auf zwei Fälle beschränkt (Art. 88b revIPRG): Einerseits kann der Erblasser seinen gesamten Nachlass oder Teile davon der  Zuständigkeit seines ausländischen Heimatstaates unterstellen (Abs. 1). Es ist also beispielsweise möglich, das in der Schweiz gelegene Vermögen unter der schweizerischen Zuständigkeit zu belassen, während das Vermögen im Ausland der Zuständigkeit des Heimatstaats unterstellt wird. Andererseits hat jeder Erblasser die Möglichkeit, ein im Ausland gelegenes Grundstück der Zuständigkeit des Lagestaates zu unterstellen.

3.    Anwendbares Recht

3.1.    Allgemeines zum Erbstatut

Die zuständige (Schweizer) Behörde hat nicht automatisch immer Schweizer Recht anzuwenden. Die Wahl des anwendbaren materiellen Rechts ist in beschränktem Mass möglich (siehe 3.3). Das anwendbare materielle Recht wird als Erbstatut bezeichnet.

Trifft der Erblasser keine Wahl, bestimmt das Gesetz das anwendbare materielle Recht. Die Art. 90 und 91 IPRG knüpfen zur Beurteilung nicht mehr an den letzten Wohnsitz an, sondern unterscheiden neu nach objektiver (gesetzlicher) oder subjektiver (Rechtswahl) Anknüpfung.

I.   Objektive Anknüpfung

Nachlässe von in- und ausländischen Erblassern mit letztem Wohnsitz in der Schweiz werden unverändert nach schweizerischem materiellem Recht abgewickelt und beurteilt. Der Nachlass eines Erblassers mit letztem Wohnsitz im Ausland untersteht demjenigen Recht, auf welches das Kollisionsrecht des Wohnsitzstaates verweist. Um ein Pingpong aufgrund der Verweisungsnormen zu vermeiden, wird neu bei einem Rückverweis des ausländischen Kollisionsrechts des Wohnsitzstaates auf das schweizerische Kollisionsrecht das materielle Erbrecht des letzten Wohnsitzstaates angewendet.  Sind die Schweizer Behörden als Heimatbehörden zuständig (Art. 87 Abs. 1 revIPRG), ist auch Schweizer Recht anwendbar.

II.   Subjektive Anknüpfung (Rechtswahl)

Durch Testament oder Erbvertrag kann eine Person ihren Nachlass dem materiellen Recht ihres Heimatstaates unterstellen. Vorausgesetzt ist, dass die entsprechende Staatsangehörigkeit im Zeitpunkt der letztwilligen Anordnung oder im Zeitpunkt des Todes der verfügenden Person gegeben ist (Art. 91 revIPRG).

Für Schweizer Bürger ist der letzte Satz von Absatz 1­ beachtlich, wonach sie das schweizerische Pflichtteilsrecht nicht mithilfe einer ausländischen Rechtswahl umgehen können.

Eine Teilrechtswahl nur in Bezug auf das in der Schweiz gelegene Vermögen ist zulässig, sofern damit auch die schweizerische Zuständigkeit verbunden ist. Dies betrifft die Fälle von Art. 87 Abs. 2 revIPRG (siehe 2.1 I). 

3.2.    Eröffnungsstatut

Als Eröffnungsstatut wird das auf die Abwicklung des Nachlasses anwendbare materielle Recht bezeichnet. Nebst der eigentlichen Abwicklung unterliegen auch sichernde Massnahmen, die Willensvollstreckung oder die Nachlassverwaltung dem Eröffnungsstatut (Art. 92 Abs. 2 revIPRG). Neu steht eindeutig fest, dass sich die Berechtigung des Willensvollstreckers oder Nachlassverwalters am Nachlass und ihre Verfügungsmacht nach dem Recht am Ort der zuständigen Behörden richten.

3.3.    Wirksamkeit Verfügungen von Todes wegen

Diese Frage regeln die Art. 94 und 95 revIPRG. Die Wirksamkeit von Testamenten und Erbverträgen beurteilt sich grundsätzlich nach dem Recht am Wohnsitz des Verfügenden zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung bzw. beim Vertragsschluss.

Hat der Verfügende jedoch für seinen ganzen Nachlass das Heimatrecht gewählt, gilt diese Rechtswahl auch für Fragen der Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen.

Die Verfügungsfreiheit des Erblassers, also die Frage nach allfälligen Pflichtteilen, beurteilt sich grundsätzlich nach dem Erbstatut gemäss den Artikeln 90 und 91 (Art. 95b Abs. 2 revIPRG). 

4.    Anerkennung ausländischer Rechtsakte

Art. 96 revIPRG zählt in lit. a bis c auf, welche ausländischen Entscheidungen, Massnahmen und Urkunden in der Schweiz anerkannt werden. Beim Vorliegen einer Zuständigkeitswahl zugunsten der Schweizer Behörden ist die Anerkennung ausländischer Rechtsakte ausgeschlossen. 

Rechtsakte aus dem letzten Wohnsitzstaat des Erblassers werden grundsätzlich anerkannt. Wurde eine Zuständigkeitswahl getroffen, werden Rechtsakte des Heimatstaats des Erblassers anerkannt, des Staates seines gewöhnlichen Aufenthalts oder des Lagestaates einzelner Vermögenswerte, sofern sich der letzte Wohnsitzstaat nicht mit dem Nachlass befasst (hat).  

5.    Übergangsbestimmungen

Grundsätzlich sind sämtliche Erbfälle und Verfügungen von Todes wegen vom neuen Erbrecht erfasst, die nach dem Inkrafttreten eintreten bzw. abgefasst werden. 

Eine Sonderregelung besteht für Verfügungen von Todes wegen, die vor dem Inkrafttreten des revidierten Rechts (gültig) errichtet worden sind, nach dem neuen Recht jedoch ungültig wären. Diese sog. altrechtlichen Verfügungen unterliegen weiterhin den Bestimmungen des bisherigen Rechts. Im Sinne einer Gegenausnahme nicht von dieser Ausnahme erfasst sind die Verfügungsfreiheit bzw. das Pflichtteilsrecht. Diese beurteilen sich stets nach den Bestimmungen des neuen Rechts bzw. des im Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalls geltenden Rechts. 

6.    Fazit

Nachlässe mit Bezug zu verschiedenen Staaten bleiben auch mit der Revision des IPRG und nach Einführung der EU-ErbVO eine komplexe Angelegenheit – insbesondere, wenn ausschliesslich die gesetzlichen und staatsvertraglichen Regelungen des jeweiligen internationalen Erbrechts zur Anwendung gelangen.

Aufgrund der relativ weitgehenden letztwilligen Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf die Zuständigkeit der Behörden, welche den Nachlass abwickeln, lassen sich mit einer umsichtigen Planung Zuständigkeitskonflikte oder parallele Zuständigkeiten in vielen Fällen verhindern. Dadurch lässt sich die Nachlassabwicklung für die Erben vereinfachen. Durch eine bewusste Wahl des anwendbaren Rechts –­ entweder auf den gesamten Nachlass oder individuell für die in unterschiedlichen Ländern gelegenen Vermögenswerte – lassen sich die eigene Erbfolge und die Teilung des Nachlassvermögens sinnvoll gestalten. Insbesondere bei Liegenschaften in Drittstaaten oder einem Wegzug aus der Schweiz ist eine Auseinandersetzung mit der Nachlassplanung sinnvoll, weil die Anwendbarkeit von Schweizer Recht oder die Abwicklung durch schweizerische Behörden nicht mehr automatisch gegeben ist. Für ausländische Staatsbürger dürfte sich eine erbrechtliche Planung primär anbieten, wenn die Anwendung des Rechts des Heimatstaates ein Thema ist oder Vermögenswerte ausserhalb der Schweiz gelegen sind.

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