Öffentliches Recht
Sie planen, finanzieren und bauen auf Grundlage einer Baubewilligung zu Erschliessungs-zwecken eine Strasse auf Ihrem Grundstück. Sie denken, die Strasse zu Ihrem Haus gehört Ihnen - bis die Gemeinde anklopft und die Strasse zu ihrem Eigentum erklärt. Bei der Grundeigentümerschaft stellt sich die Frage "Kann die Gemeinde das einfach so?". Ein Urteil des Berner Verwaltungsgerichts [1] schafft diesbezüglich Klarheit – mit Folgen nicht nur für die Grundeigentümerschaft, sondern auch für sämtliche Verkehrsteilnehmende.
A und B haben Eigentum am Grundstück Nr. X der Gemeinde Y, welches durch eine dem Grundstück Nr. X zugehörige Strassenparzelle erschlossen wird. Die Strasse wurde durch die Grundeigentümer A und B erstellt, ohne dass hierfür mit der Gemeinde ein Vertrag abgeschlossen worden wäre. Mittels Verfügung erwog die Gemeinde Y gegenüber den Eigentümern A und B, die Strassenparzelle sei in ihr Eigentum übergegangen. Grundeigentümer A und B reichten Beschwerde ein.
Erschliessungsanlagen (dazu gehört unter anderem das kommunale Strassennetz) werden gemäss Art. 108 Abs. 1 BauG [2] grundsätzlich von der Gemeinde projektiert und gebaut. Der Gemeinderat kann gestützt auf Art. 109 Abs. 1 BauG unter bestimmten Voraussetzungen die Planung und Erstellung einer Erschliessungsanlage mit einem Erschliessungsvertrag auf die Grundeigentümerschaft überbinden.
Nach Art. 109 Abs. 2 BauG gehen die Anlagen nach der ordnungsgemässen Erstellung durch die Grundeigentümerschaft von Gesetzes wegen an die Gemeinde zum Unterhalt und Eigentum über. Damit statuiert das Gesetz einen sog. ausserbuchlichen Eigentumsübergang (Art. 656 Abs. 2 ZGB), wonach die fragliche Erschliessungsanlage unabhängig des Grundbucheintrags von Gesetzes wegen an die Gemeinde übergeht.
Zunächst ist zu prüfen, ob der entsprechende Strassabschnitt als private Zufahrtsstrasse im Sinne einer Hauszufahrt oder als eine öffentliche Detailerschliessungsstrasse gilt. Die Unterscheidung ist wichtig, weil Hauszufahrten im privaten Eigentum verbleiben, während an öffentlichen Strassen keine privaten Eigentumsrechte bestehen sollen. Eine Strasse, die der Erschliessung von mehreren Grundstücken dient, gilt in der Regel nicht als privater Hausanschluss – auch dann nicht, wenn die Strasse als Sackgasse endet.
Das Verwaltungsgericht hat nach Auslegung der einschlägigen Gesetzesbestimmung in Art. 109 Abs. 2 BauG entschieden, dass auch in denjenigen Fällen, in welchen die Erschliessungsanlage bzw. Strasse durch eine Privateigentümerschaft geplant und gestützt auf eine Baubewilligung gebaut wurde die Strasse in das Eigentum der Gemeinde übergeht. Das soll selbst dann gelten, wenn die Gemeinde irrtümlich oder aus prozessökonomischen Gründen sich "bloss" des Instruments der Baubewilligung bedient habe und keinen (schriftlichen) Infrastruktur- oder Erschliessungsvertrag abgeschlossen hat.
Gemäss Wortlaut von Art. 109 Abs. 1 BauG kam dieser Artikel bislang lediglich zum Tragen, wenn zwischen den privaten Grundeigentümern ein entsprechender Infrastruktur- oder Erschliessungsvertrag abgeschlossen wurde. [3] Neu ist nun auch von einem Eigentumsübergang auszugehen, wenn kein solcher Vertrag besteht und die Zustimmung der erschliessungspflichtigen Gemeinde lediglich mit der Erteilung der Baubewilligung erteilt wurde. Es würde dem Sinn und Zweck des Artikels widersprechen, von einem Eigentumsübergang abzusehen, nur weil die Gemeinde sich bloss des Instruments der Baubewilligung bedient habe. Weiter führt es an, dass aus historisch gewachsener Sicht private Eigentumsrechte an öffentlichen Erschliessungsstrassen ohnehin unerwünscht seien.
Für die privaten Grundeigentümer, welche die Strasse gebaut und finanziert haben, hatte dies hier zur Folge, dass sie das Eigentum an der Strasse grundsätzlich unentgeltlich an die Gemeinde abtreten müssen. Vorbehalten bleibt einzig eine allfällige Beteiligung der Gemeinde an den Erstellungskosten gemäss Art. 110 und 112 ff. BauG [4]. Damit wird die Grundeigentümerschaft im Gegenzug jedoch von der Unterhaltspflicht und der Verantwortlichkeit entlastet.
Für die Gemeindestrassen stehen die zuständigen Gemeinden in der Unterhaltspflicht (Art. 41 Abs. 1 SG [5] ; Art. 109 Abs. 2 BauG). Für Strassenverkehrsteilnehmende bedeutet der Eigentumsübergang an die Gemeinde in erster Linie erhöhte Verkehrssicherheit. Öffentliche Strassen werden regelmässig unterhalten, bei Bedarf beleuchtet und bei Schneefall geräumt. Ausserdem gelten einheitliche Verkehrsregeln und Unklarheiten betreffend Nutzungseinschränkungen für Verkehrsteilnehmenden werden vermieden.
Ob der Verzicht auf die Voraussetzung eines schriftlichen Vertrags jedoch die Rechtsicherheit erhöht, ist zu bezweifeln. So dürfte es doch die eine oder andere erschliessungspflichtige Gemeinde überraschen, dass sie ohne vertragliche Grundlage und Grundbucheintrag plötzlich Eigentümerin zahlreicher Privatstrassen ist. Mangels vertraglicher Regelung müssen zudem die Erstellungskosten allenfalls unter mehreren Grundeigentümern neu verteilt oder zurückerstattet werden. Fraglich ist auch, ob die Gemeinde rückwirkend allfällige Unterhalts- und Erneuerungskosten (welche sie eigentlich hätte zahlen müssen), den privaten Grundeigentümern entschädigen muss. Die Zukunft wird zeigen, wie in der Praxis mit den unterschiedlichen Konsequenzen aus diesem Entscheid umgegangen wird.
Die Strassenparzelle von Grundeigentümer A und B erschliesst mehrere Grundstücke und verbindet diese an Hauptstränge des Erschliessungsnetzes. Sie geht folglich in das Grundeigentum der Gemeinde Y über – auch wenn kein Erschliessungsvertrag mit der Gemeinde abgeschlossen wurde. Mit dem Eigentumsübergang werden die Grundeigentümer A und B von der Verantwortung für die Strasse sowie der Unterhaltspflicht befreit, während die Ge-meinde Y verpflichtet wird, inskünftig für den ordentlichen Unterhalt der Strasse zu sorgen.
Fussnoten
Urteil Verwaltungsgericht Kanton Bern, VGE BE 100.2022.168U vom 13. Mai 2024.
Baugesetz Kanton Bern vom 9. Juni 1985, BSG 721.0.
Vgl. bspw. BVR 2020/3 S. 93 ff. E. 4.1 im Zusammenhang mit einer Abwasseranlage der Detailerschliessung.
Zaugg/Ludwig, Kommentar Baugesetz des Kantons Bern vom 9. Juni 1985 Band II, N 20 zu Art. 109/110; Bei Detailerschliessungsstrasse übernimmt die Gemeinde jedoch in der Regel keinen Anteil an den Erstellungs-kosten (vgl. Art. 112 Abs. 1 lit. a BauG).
Strassengesetz vom Kanton Bern vom 4. Juni 2008, BSG 732.11.