Aufmerksam abgelenkt…
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Strafrecht

Aufmerksam abgelenkt…

Telefonieren, SMS schreiben, Zeitung lesen, Radio und Navigationsgerät bedienen. Was ist beim Autofahren eigentlich untersagt und strafbar, was erlaubt?

Allgemeines

Der Fahrzeugführer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann.[1] Er muss also jederzeit in der Lage sein, auf die jeweils erforderliche Weise auf das Fahrzeug einzuwirken und auf jede Gefahr ohne Zeitverlust zweckmässig zu reagieren.[2]

Aus diesem Grund dürfen Personen kein Fahrzeug führen, die wegen Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Arzneimitteleinfluss oder aus anderen Gründen, wie beispielsweise Übermüdung, nicht über die erforderliche körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verfügen und deshalb als fahrunfähig gelten.[3]

Aufmerksamkeit

Der Fahrzeugführer muss seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr zuwenden und dafür sorgen, dass er weder durch die Ladung noch auf andere Weise behindert und seine Aufmerksamkeit insbesondere durch Tonwiedergabegeräte sowie Kommunikations- und Informationssysteme nicht beeinträchtigt wird. Mitfahrende dürfen ihn nicht behindern oder stören (Art. 31 Abs. 3 SVG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Sätze 1 und 3 VRV).

Das allgemeine Mass der Aufmerksamkeit richtet sich nach den gesamten Umständen, wie der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen (z.B. Fahrbahnzustand), der Tageszeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen.[4] Es kommt also immer auf den konkreten Einzelfall an. Fahren auf der Autobahn bei Schneematsch und schlechter Sicht ist beispielsweise nicht zu vergleichen mit dem Fahren bei guten Verhältnissen im Stau.

Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 Satz 1 und 3 VRV, beispielsweise durch die Verwendung von Kommunikations- und Informationssystemen, liegt nur dann vor, wenn die Aufmerksamkeit dadurch tatsächlich beeinträchtigt wird.[5]

Erschwerung der Bedienung des Fahrzeugs

Auch wenn der Fahrzeugführer aufmerksam ist, sind ihm nicht alle Handlungen erlaubt. Art.  3 Abs. 1 Satz 2 VRV konkretisiert nämlich das Verbot der Behinderung: Demnach ist es dem Fahrzeugführer explizit verboten, beim Fahren eine Verrichtung vorzunehmen, welche die Bedienung des Fahrzeugs erschwert. Er muss das Lenkrad mindestens mit einer Hand halten und hat so die andere Hand für Handgriffe, wie das Blinken, Schalten, Hupen, Einstellen der Scheibenwischer etc. zur Verfügung.[6]

Ob eine Verrichtung das Lenken oder einen dieser Handgriffe erschwert oder verunmöglicht, hängt grundsätzlich von der Art der Verrichtung, dem Fahrzeug und der Verkehrssituation ab.[7] Dauert eine solche Verrichtung nur sehr kurz und muss dabei weder der Blick vom Verkehr abgewandt noch die Körperhaltung geändert werden, so liegt in der Regel keine Erschwerung der Fahrzeugbedienung vor. Ist die Verrichtung jedoch von längerer Dauer oder erschwert sie in anderer Weise die nötigenfalls sofortige Verfügbarkeit der sich nicht am Lenkrad befindlichen Hand, so gilt die Fahrzeugbedienung als in unzulässiger Weise behindert.[8]

 Was darf man nun und was nicht?

  • Ein Fahrer darf, wenn es die Verkehrssituation erlaubt, zum Ablesen der Geschwindigkeit oder der Treibstoffreserve kurz auf das Armaturenbrett blicken, ohne dass ihm eine ungenügende Aufmerksamkeit zur Last gelegt werden kann. Gleiches gilt auch bei einem kurzen Blick auf die Uhr oder ein im Fahrzeug eingebautes Navigationssystem, bei dem die Führung des Lenkers auch durch Sprachausgabe erfolgt.[9]
  • Telefongespräche sind nicht per se verboten, weil sie die Konzentration nicht stärker beanspruchen als ein Gespräch mit den Fahrzeuginsassen und somit die Aufmerksamkeit aufrechterhalten bleiben kann.[10] Das Telefonieren mit einer Freisprecheinrichtung ist deshalb – und auch weil dazu keine Verrichtung vorgenommen werden muss, welche die Fahrzeugbedienung in unzulässiger Weise erschwert ­­– grundsätzlich erlaubt. Ist das Telefongespräch aber derart intensiv, dass es die Aufmerksamkeit beeinträchtigt, ist dies verboten.
  • Telefonieren ohne Freisprecheinrichtung mit einer Hand ist grundsätzlich verboten. Da das Führen eines Telefongesprächs stets länger als einen kurzen Augenblick dauert, erschwert ein solches – wenn es das Halten des Telefonhörers oder -geräts mit der einen Hand erfordert – die Ausführung der für die Erfüllung der Vorsichtspflichten unter entsprechenden Umständen unerlässlichen Verrichtungen. Je nachdem mit welcher Hand das Gerät gehalten werden muss, kann dann beispielsweise beim Abbiegen zumindest der Richtungsanzeiger nicht gestellt und insbesondere bei einem überraschend notwendig werdenden Ausweichmanöver das Lenkrad nicht rasch genug in der erforderlichen Weise betätigt werden. Zudem können am Strassenrand auftauchende Kinder nicht rechtzeitig mit einem Hupsignal gewarnt werden usw.[11]
  • Gleiches gilt für die Bedienung eines Funkgerätes. Diese ist zwar nicht per se verboten, jedoch dann verboten, wenn dadurch die Fahrzeugbedienung erschwert oder die Aufmerksamkeit beeinträchtigt wird.[12]

 Konkrete Beispiele aus der Rechtsprechung

  • Der Fahrzeugführer, der während der Fahrt telefoniert und dazu länger als einen kurzen Augenblick das Telefon mit einer Hand hält oder es zwischen Kopf und Schulter einklemmt, bei welchem jedoch keine Anzeichen für eine Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit vorliegt, verstösst zwar nicht gegen Art. 3 Abs. 1 Satz 1 und 3 VRV (mangelnde Aufmerksamkeit), jedoch gegen Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VRV, weil er eine Verrichtung vornimmt, welche die Fahrzeugbedienung in unzulässiger Weise erschwert, da die freie Bewegung des Kopfes beeinträchtigt und das Sichtfeld eingeschränkt wird (Seitenblicke, Blick in Rückspiegel etc.).[13]
  • Hält sich der Lenker die Funkmuschel während der Fahrt für längere Zeit ans Ohr und muss er dafür den Kopf und den Oberkörper stark nach unten neigen, wird dadurch – auch bei einer an sich gut überschaubaren Verkehrssituation – die Fahrzeugführung in unzulässiger Weise erschwert und die Aufmerksamkeit beeinträchtigt, da eine Hand für die Fahrzeugbedienung länger nicht verfügbar und die freie Sicht aufgrund der geänderten Körperhaltung und des nicht mehr frei bewegbaren Kopfs eingeschränkt ist.[14]
  • Der Fahrzeugführer, der während der Fahrt auf der Autobahn im Kurvenbereich bei regem Verkehrsaufkommen sein Mobiltelefon während 15 Sekunden ununterbrochen in der linken Hand hält und dabei weder den Blick vom Verkehr abwendet noch seine Körperhaltung ändert, bringt die erforderliche Aufmerksamkeit auf und erschwert die Bedienung des Fahrzeuges nicht. Es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass die Bedienung des Fahrzeugs nicht gewährleistet war. Das Bundesgericht ging davon aus, dass der Fahrzeugführer die verkehrsrelevanten Manipulationen mit der anderen Hand vornehmen konnte. Angesichts der konkreten Verkehrsumstände sei nicht erstellt gewesen, dass das Halten des Telefons den Beschwerdegegner in irgendeiner Weise für die Erfüllung der unerlässlichen Vorsichtspflichten beeinträchtigte. Die linke Hand habe durch das Halten des Telefons nicht an Beweglichkeit eingebüsst. Bei einer geänderten Verkehrssituation hätte der Fahrzeugführer das Telefon sofort weglegen können. Zudem sei das Gesichtsfeld des Beschwerdegegners nicht eingeschränkt, und die freie Bewegung des Kopfes sei für notwendige Seitenblicke oder die Beobachtung des Rückspielgels nicht behindert gewesen.[15]
  • Ein Fahrzeugführer, der in den Phasen des Stillstands seines Fahrzeugs im Stau eine Zeitung liest und diese in den Phasen des Aufrückens um einige Meter im Schritttempo teils auf seinen Oberschenkeln, teils am Lenkrad aufgestützt lässt, verstösst – unter den konkreten Strassen- und Verkehrsverhältnissen – nicht gegen Art. 3 Abs. 1 Satz 1, 2 oder 3 VRV. Die Aufmerksamkeit wurde nicht beeinträchtigt. Zudem galt hier die Bedienung des Fahrzeugs noch nicht als erschwert, auch wenn eine gewisse Behinderung vorgelegen habe.[16]
  • Dagegen widmet ein Fahrer dem Verkehr nicht die erforderliche Aufmerksamkeit, wenn er während der Fahrt seinen Blick zum Schreiben einer SMS länger auf sein Mobiltelefon richtet (und dabei von der Strasse abkommt).[17]
  • Der Fahrzeugführer, der sein Navigationsgerät (resp. Mobiltelefon) vom Beifahrersitz hochhebt und zum Ablesen der Informationen während längerer Zeit am Lenkrad hält sowie das Gerät in einer bestimmten zum Ablesen geeigneten Position stabilisiert, weil für ihn die Anzeige aufgrund der Sonneneinstrahlung nicht lesbar war, erschwert die Verfügbarkeit der haltenden Hand und damit die Bedienung des Fahrzeugs in höherem Masse, als das blosse Halten eines Mobiltelefons. Es liegt deshalb eine Widerhandlung nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VRV vor.[18]
  • Die Suche nach Radiosendern, welche zu Fahren in Schlangenlinien führt, zeugt von beeinträchtigter Aufmerksamkeit und wurde zudem als Vornahme einer Verrichtung, welche die Bedienung des Fahrzeugs erschwert, beurteilt.[19]
  • Scheibenputzen während des Abbiegens ist eine Verrichtung, welche die Aufmerksamkeit beeinträchtigt und die Fahrzeugbedienung erschweren kann.[20] Im vom Bundesgericht beurteilten Fall handelte es sich jedoch um eine sehr geringe Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit. Die Fahrzeuglenkerin fuhr mit niedriger Geschwindigkeit, da trotz Kollision weder Personen- noch Sachschaden entstand. Sie musste beim Abwischen der Scheibe ihre Körperhaltung nicht grundsätzlich ändern. Für diese rasche Handbewegung brauchte sie ihren Blick nicht oder höchstens sehr kurz vom Verkehr auf die Autoscheibe zu richten.

 Strafbarkeit

Die Verletzung der vorgenannten Nomen stellt - je nach Fall - eine einfache Verkehrsregelverletzung i.S.v. Art. 90 Abs. 1 SVG (geahndet mit Busse), eine grobe Verkehrsregelverletzung i.S.v. Art. 90 Abs. 2 SVG (geahndet mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren), oder seltenenfalls auch eine Verkehrsregelverletzung von Art. 90 Abs. 3 SVG (geahndet mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren) dar. Hinzu kommt eine allfällige Administrativmassnahme (Verwarnung oder Ausweisentzug).

Das Telefonieren ohne Freisprecheinrichtung wird mindestens mit einer Ordnungsbusse von CHF 100.00 bestraft.[21] Beeinträchtigt das Telefonieren zusätzlich die Aufmerksamkeit oder die Bedienung des Fahrzeuges, kann die Strafe auch höher sein.

 Fazit

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es auf den konkreten Einzelfall ankommt. Auch wenn z.B. das Zeitunglesen im obgenannten Fall im Stau zulässig wär, wäre dies in einer anderen Verkehrssituation je nach dem unzulässig.

Hinsichtlich der Aufmerksamkeit ist zu prüfen, ob diese tatsächlich beeinträchtigt wurde, sei es durch eine konkrete Ablenkung (z.B. intensives Telefongespräch) oder aber eine konkrete Handlung (z.B. SMS schreiben, Bedienung eines Navigationsgeräts etc.).

Bei der Abklärung, ob eine unzulässige Verrichtung vorgenommen wird, welche die Bedienung des Fahrzeugs erschwert, wird geprüft, wie lange die Verrichtung dauerte, ob der Blick vom Verkehr abgewandt oder die Körperhaltung geändert wurde. Die Fahrzeugbedienung gilt dann in unzulässiger Weise als behindert, wenn die Verrichtung länger dauert oder die nötigenfalls sofortige Verfügbarkeit der sich nicht am Lenkrad befindlichen Hand in anderer Weise erschwert wird.

Als Grundregel gilt: Die Aufmerksamkeit soll stets der Strasse gelten. Eine Hand ist immer am Lenkrad zu halten. Wird mit der anderen Hand eine Verrichtung vorgenommen, darf dadurch die Aufmerksamkeit nicht beeinträchtigt werden und die Verrichtung nicht lange dauern und die nötigenfalls sofortige Verfügbarkeit der Hand nicht erschweren.

Dieser Artikel wurde erstmals im Clubmagazin des ACS Sektion Bern Ausgabe 06/2018 veröffentlicht.

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