Bauen während einer Pandemie
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Öffentliches Recht

Bauen während einer Pandemie

Am 16. März 2020 hat der Bundesrat im Zusammenhang mit dem Coronavirus die "ausserordentliche Lage" ausgerufen. Dieser Zustand wird auch an der Baubranche nicht spurlos vorübergehen. Im Vordergrund stehen Bauverzögerungen, Vertragsauflösungen und damit verbundene Entschädigungsfolgen. Nachfolgend sind die zentralen Rechtsfragen für Unternehmer und Architekten in aller Kürze zusammengefasst.

Vorbemerkungen

Eine Pandemie ist nicht alltäglich. Die Beurteilung von damit zusammenhängenden Rechtsfragen unterliegt mangels Rechtsprechung stets gewissen Vorbehalten. Zudem richten sich die Rechtsfolgen in erster Linie nach den konkret vereinbarten Vertragsbestimmungen, welche vorab zu konsultieren sind. Mangels anderweitiger Anordnung der Behörden hat die Pandemie grundsätzlich keinen Einfluss auf die Gültigkeit und Verbindlichkeit von Verträgen.

Unternehmer nach OR und SIA-Norm 118

Das Rechtsverhältnis zwischen Bauherr und Unternehmer unterliegt in aller Regel dem Werkvertragsrecht nach Art. 363 ff. OR. Die SIA-Norm 118 gilt nur, wenn deren Anwendbarkeit zwischen den Parteien vereinbart wurde.

In Werkverträgen wird in der Regel ein Terminprogramm vereinbart. Diese legen vertraglich fest, bis wann der Bauherr mit den vereinbarten Leistungen rechnen darf. Mit dem Eintritt des Ablieferungstermins wird das Werk zur Ablieferung fällig. Solche Fristen sind, zumindest wenn es sich um sog. "Spätestensfristen" handelt, verbindlich.

Können solche Fristen nicht eingehalten werden, kommt der Werkunternehmer (allenfalls nach vorgängiger Mahnung) in Verzug (Art. 102 ff. OR). Dies gilt in der Regel selbst dann, wenn eine Pandemie und damit höhere Gewalt für die Verzögerung ursächlich ist (z.B. dadurch begründete Lieferschwierigkeiten). Die Verzugsfolgen sind unterschiedlich, je nachdem, ob der Verzug mit oder ohne Verschulden des Unternehmers eingetreten ist. Der Unternehmer ist in jedem Fall aber gut beraten, alles in seiner Macht liegende zu tun, um Verzögerungen zu vermeiden und drohender Verzugsschaden abzuwenden. Kann dem Unternehmer trotz Pandemie ein Verschulden nachgewiesen werden, haftet er für den eingetretenen Verzugsschaden und für den Zufall (Art. 103 Abs. 1 OR).

Unabhängig eines Verschuldens steht es dem Bauherr im Verzugsfall offen, dem Unternehmer eine Nachfrist anzusetzen (Art. 107 Abs. 1 OR) vom Werkvertrag zurückzutreten (Art. 109 Abs. 1 OR) oder diesen zu kündigen (Art. 377 OR). Beim Vertragsrücktritt sind die gegenseitigen Leistungen zurückzuerstatten (was in der Regel nur in der Anfangsphase des Bauprojekts Sinn macht), bei der Vertragskündigung kann der Bauherr das bereits Geleistete gegen entsprechende Vergütung des Unternehmers behalten.

Art. 366 Abs. 1 OR regelt den Fall, dass Verzögerungen vor Eintritt des Ablieferungstermins eintreten: "Beginnt der Unternehmer das Werk nicht rechtzeitig oder verzögert er die Ausführung in vertragswidriger Weise oder ist er damit ohne Schuld des Bestellers so sehr im Rückstande, dass die rechtzeitige Vollendung nicht mehr vorauszusehen ist, so kann der Besteller, ohne den Lieferungstermin abzuwarten, vom Vertrage zurücktreten".

Bauverzögerung während einer Pandemie liegen jedoch nicht nur in der Risikosphäre des Unternehmers. Es kann auch vorkommen, dass der Bauherr von der Pandemie betroffen ist und Mitwirkungshandlungen (z.B. Erstellen und Abgabe von Plänen oder Leistungen eines anderweitig beauftragten Unternehmers) unterlässt (Annahmeverzug, Art. 91 OR) oder zahlungsunfähig wird (Art. 83 Abs. 1 OR). In solchen Fällen kann die Verzögerung dem Unternehmer objektiv nicht zum Vorwurf gemacht werden. Eine solche "gerechtfertigte" Verzögerung kann dazu führen, dass sich das Terminprogramm des Unternehmers nach hinten verschieben darf, ohne dass die beschriebenen Verzugsfolgen eintreten.

Der Unternehmer ist mit Blick auf die derzeit anhaltende Pandemie in der Regel besser beraten, die Anwendbarkeit der SIA-Norm 118 zu vereinbaren, welche im Vergleich zum OR vorteilhaftere Verzögerungsregeln kennt. Trift den Unternehmer kein Verschulden, so hat dieser gestützt auf Art. 96 SIA-Norm 118 das Recht auf eine angemessene Fristerstreckung. Als unverschuldete Verzögerungsgründe nennt diese Bestimmung mitunter Lieferstörungen und behördliche Massnahmen, welche als typische Begleiterscheinung einer Pandemie auftreten können. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass der Unternehmer der Bauleitung resp. dem Bauherrn unverzüglich und schriftlich die Verzögerung und deren Ursache anzeigt (Art. 96 Abs. 1 i.V.m. 25 SIA-Norm 118). Zudem entbindet die Anzeige den Unternehmer nicht davon, die gebotenen Beschleunigungsmassnahmen zu treffen (Art. 95 SIA-Norm 118). Die Bauleitung resp. der Bauherr muss diesen Massnahmen jedoch zustimmen und trägt in diesem Fall auch die damit verbundenen und vom Unternehmer nachgewiesenen Mehrkosten (Art. 95 Abs. 3 SIA-Norm 118).

Sind keine Massnahmen möglich oder werden solche bauherrenseitig abgelehnt, ist der Anspruch auf Fristerstreckung zu bejahen. Für den Unternehmer hat dies bspw. den Vorteil, dass allfällig vereinbarten Konventionalstrafen nicht geschuldet sind (Art. 98 SIA-Norm 118).

Architekten nach OR und SIA-Norm 102

Architektenverträge unterliegen in aller Regel dem Auftragsrecht nach Art. 394 ff. OR. Die AVB SIA-Norm 102 gelten nur, wenn diese vertraglich vereinbart wurden.

Die vorherrschende Pandemie befreit die Architekten grundsätzlich nicht, die vereinbarten Leistungen vertragsgemäss und fristgerecht zu erbringen. Je nach Teilphase stellen sich andere Herausforderungen: Fehlende Mitwirkung des Bauherrn bei der strategischen Planung und den Vorstudien, behördliche Verzögerungen im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens oder Leistungsstörungen der Unternehmer im Rahmen der Bauausführung oder Nachbesserungsphase. Bei einer Pandemie stehen nach hiesiger Auffassung die zeitliche und organisatorische Koordination im Rahmen der einzelnen Teilphasen sowie die laufende Information der Bauherren und Unternehmer im Vordergrund.

Im Rahmen von Bauprojekten erstellt der Architekt in der Regel ein Terminprogramm. Bei einer Pandemie kann es unweigerlich zu Verzögerungen und Terminverschiebungen kommen. Dabei gilt der Grundsatz: Für Verzögerungen haftet der Architekt mangels anderer Abrede grundsätzlich nur, wenn ihm eine Verletzung seiner Sorgfaltspflicht angelastet werden kann (z.B. Fehlplanung oder Bauleitungsfehler). Um eine Sorgfaltspflichtverletzung abzuwenden, ist der Architekt gut beraten, auch bei Verzögerungen, welche in der Risikosphäre der Unternehmer liegen, organisatorische Massnahmen zur Einhaltung des Terminprogramms zu treffen (z.B. bei Lieferengpässen Alternativen suchen, mögliche Anpassungen des Leistungsbeschriebs prüfen und mit dem Bauherrn diskutieren).

Baustellen sind von den Verboten gemäss aktueller COVID-19-Verordnung 2 (SR 818.101.24; Stand 17. März 2020) grundsätzlich nicht betroffen (kein generelles Baustellenverbot). Zu den Aufgaben der Bauleitung gehören aber, die derzeit geltenden behördlichen Anordnungen betreffend Hygiene auf der Baustelle gut sichtbar anzuschlagen und deren Einhaltung zu beaufsichtigen. Der einzuhaltende Mindestabstand von 2 m kann gewisse Anpassungen des Bauprogramms mit sich bringen. Sind Baustellen trotz Einhaltung der Hygienevorschriften von behördlichen Baustellenschliessungen betroffen, wird zu juristischem Beistand geraten.

In jedem Fall trifft aber auch den Bauherrn eine Schadenminderungspflicht, wonach er einer Entstehung oder Vergrösserung eines Schadens entgegenzuwirken hat (vgl. auch Ziff. 1.4.4 AVB SIA-Norm 102).

Es ist nicht auszuschliessen, dass infolge der Pandemie gewisse Leistungen nicht mehr beansprucht oder erbracht werden können. Hier gilt: Auftragsrechtliche Verträge können von jeder Partei gestützt auf Art. 404 Abs. 1 OR widerrufen oder gekündigt werden (vgl. auch Ziff. 1.10.1 AVB SIA-Norm 102). Diese Bestimmung ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung zwingend. Die Parteien können dieses Kündigungsrecht daher nicht wirksam wegbedingen.

Im Falle einer Kündigung ist grundsätzlich das Honorar für die bislang vertragsgemäss geleistete Arbeit geschuldet. Erfolgt die Kündigung jedoch zur Unzeit, ist die kündigende Partei der anderen Vertragspartei zum Ersatze des dem anderen verursachten Schadens verpflichtet (Art. 404 Abs. 2 OR). Ziff. 1.10.3 AVB SIA-Norm 102 sieht im Falle einer Kündigung zur Unzeit durch den Auftraggeber pauschalisierte Zuschläge vor (10 % des Honorars für den entzogenen Auftragsteil oder mehr, bei nachweisbarem grösseren Schaden).

Stand: 18. März 2020

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