Fristbeginn für die Anfechtung einer Kündigung v...
Seitenbeginn

Privatrecht

Fristbeginn für die Anfechtung einer Kündigung von Wohn- und Geschäftsräumen resp. für die Einreichung eines Mieterstreckungsbegehrens

Im Juristenalltag spielen Fristen eine wesentliche Rolle. Erfolgt eine Eingabe an eine Behörde verspätet, so wird darauf nicht eingetreten. Es ist somit von grosser Bedeutung, dass die für den entsprechenden Fall geltenden Fristen korrekt berechnet und eingehalten werden.

Auch im Mietrecht sind Fristen allgegenwärtig. Insbesondere der Fristbeginn für die Anfechtung einer Kündigung resp. für die Einreichung eines Mieterstreckungsbegehrens ist eine wichtige Frage. Wird eine Kündigung zu spät angefochten, ist es nicht mehr möglich, sie aufheben oder das Mietverhältnis erstrecken zu lassen.

Grundsatz der Fristenberechnung

Art. 273 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a OR sieht vor, dass diejenige Partei, welche die Kündigung anfechten resp. das unbefristete Mietverhältnis erstrecken will, das Begehren innert 30 Tagen nach Empfang der schriftlichen Kündigung bei der Schlichtungsbehörde einreichen muss.

Die Frist beginnt am Tag, der auf den Empfang der Kündigung folgt.[1] Wird die Kündigung beispielsweise am 20. Oktober zugestellt, so beginnt die Frist am darauffolgenden Tag, dem 21. Oktober, zu laufen und endet am dreissigsten Tag, also am 19. November. Die Frist gilt als gewahrt, wenn das Begehren am 19. November der Post übergeben wird.

Wie aber sieht es aus, wenn die eingeschriebene Kündigung nicht persönlich zugestellt werden kann und eine Abholungseinladung im Briefkasten oder Postfach hinterlegt wird? Wann gilt in diesem Fall die Kündigung als «empfangen» und löst entsprechend die Frist aus?

Neuer Entscheid – neue Berechnungsart

In seinem neusten publizierten Entscheid vom 19. Mai 2014 hält das Bundesgericht fest, dass es sich bei der Frist von Art. 273 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a OR um eine materielle Klagefrist handelt, für welche die absolute Empfangstheorie gilt.[2] Gemäss der absoluten Empfangstheorie gilt die Sendung als zugestellt, sobald sie im Machtbereich des Empfängers ist.[3] Dies bedeutet, dass die Sendung bereits ab dem Zeitpunkt als zugestellt gilt, zu dem der Empfänger bei normaler Organisation seiner Verhältnisse in der Lage ist, von der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Wenn der Postbeamte das Einschreiben weder dem Adressaten noch einem bevollmächtigten Dritten aushändigen kann und stattdessen eine Abholungseinladung in den Briefkasten oder ins Postfach legt, gilt die Sendung als empfangen, sobald der Adressat bei der Poststelle vom Brief Kenntnis nehmen kann. Dabei handelt es sich um denselben Tag, an dem die Abholungseinladung hinterlegt wurde, sofern vom Empfänger erwartet werden kann, dass er die Sendung sofort abholt. Kann dies nicht erwartet werden, gilt der Tag nach der Hinterlegung der Abholungseinladung als Empfangstag. Es spielt somit keine Rolle, wann der Empfänger tatsächlich Kenntnis vom Einschreiben erhält.

Bisher stützte sich die herrschende Lehre und ein grosser Teil der Praxis für die Feststellung des Fristbeginns auf die relative Empfangstheorie.[4] Diese besagt, dass die tatsächliche Entgegennahme der Sendung massgeblich ist. Das Einschreiben gilt als zugestellt, sobald der Adressat dieses am Postschalter abholt, oder aber – wenn die Sendung nicht abgeholt wird – am letzten Tag der siebentägigen Abholfrist. Nun gilt die relative Empfangstheorie gemäss Bundesgericht nur noch für die Anfechtung von Mietzinserhöhungen im Sinn von Art. 269d Abs. 1 OR und für Zahlungsaufforderungen nach Art. 257d Abs. 1 OR.[5]

Fazit

Der Bundesgerichtsentscheid definiert den Fristbeginn für die Anfechtung einer Kündigung resp. für die Einreichung eines Mieterstreckungsbegehrens neu. Dies hat den Vorteil, dass nicht mehr wie bisher ein Unterschied zwischen der Frist für die rechtzeitige Kündigung (absolute Empfangstheorie)[6] und der Frist für die rechtzeitige Anfechtung der Kündigung (relative Empfangstheorie) gemacht wird. Die Anwendung zweier verschiedener Empfangstheorien auf den Erhalt ein und derselben Kündigung wurde somit abgeschafft.

Die neue Rechtsprechung hat jedoch den Nachteil, dass dem Adressaten der Kündigung für die Anfechtung resp. für die Einreichung eines Erstreckungsbegehrens unter Umständen nicht mehr die vollen dreissig Tage ab Kenntnisnahme der Kündigung zur Verfügung stehen.

Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass die kantonalen Schlichtungsbehörden und die Gerichte die neue Bundesgerichtspraxis übernehmen und umsetzen werden. Es ist deshalb jedem Empfänger einer Kündigung geraten, diese frühzeitig anzufechten, das heisst spätestens dreissig Tage nach Hinterlegung der Abholungseinladung, da sonst die Frist bereits abgelaufen sein könnte. Dasselbe gilt auch hinsichtlich der Einreichung eines Mieterstreckungsbegehrens.

Fussnoten

  1. BSK OR-Weber, Art. 273 N 3a

  2. BGE 140 III 244, E.5.2 (Bestätigung eines obiter dictum im nicht publizierten Urteil 4A_471/2013 des Bundesgerichts vom 11. November 2013)

  3. BGE 140 III 244, E.5.1

  4. BSK OR-Weber, Art. 273 N 3a; SVIT-Komm., Art. 273 N 19; Lachat/Thanei, Mietrecht für die Praxis, Zürich 2009, N 25/6.5; Permann, Mietrechtskommentar, Zürich 2007, Art. 273 N 7; a.M. ZK OR-Higi, Art. 273 N 48

  5. BGE 140 III 244, E.5.1; vgl. auch BGE 119 II 147, E.2

  6. BSK OR-Weber, Art. 266a N 1a; ZK-Higi, Vorbemerkungen zu Art. 266-266o, N 38 ff.; SVIT-Komm., Vorbemerkungen zu Art. 266–266o, N 5a und Art. 273 N 18; Lachat/Thanei, Mietrecht für die Praxis, Zürich 2009, N 25/6.1 ff

Artikel speichern

pdf (58 KB)

Artikel teilen

Share