Strafzumessung bei Delikten im Strassenverkehr
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Strafrecht

Strafzumessung bei Delikten im Strassenverkehr

In kaum einem anderen Strafrechtsbereich sind die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte derart restriktiv, wie im Strassenverkehrsrecht. Es gibt wohl kein anderer Bereich, von welchem nahezu jeder Staatsbürger betroffen ist. Welche Strafen sind bei Verkehrsdelikten in der Praxis zu erwarten? Dieser Artikel beschäftigt sich - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - mit der Strafzumessung im Strassenverkehrsrecht, mit einem besonderen Blick auf Geschwindigkeitsüberschreitungen und Fahren im angetrunkenen Zustand (FINZ).

Allgemeine Grundsätze der Strafzumessung

Für die Strafzumessung bei Verletzung von Verkehrsregeln gilt der Allgemeine Teil des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB). Es gelten somit dieselben Grundsätze, welche auch bei der Beurteilung von allen anderen Delikten gelten. Die Staatsanwaltschaft resp. das Gericht muss die Strafe nach dem Verschulden des Täters zumessen. Dabei sind das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters zu berücksichtigen. Das Verschulden wird nach der Schwere der Verletzung oder der Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt, wie weit der Täter in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden (vgl. Art. 47 StGB).

Aufgrund der Häufigkeit der Verkehrsdelikte werden die Strafen in der Praxis jedoch oft schematisch gefällt und das Verschulden des Täters nicht immer genauestens geprüft. Verpasst der Täter die Frist von 10 Tagen zur Einreichung einer Einsprache gegen den zugestellten Strafbefehl, so gilt letzterer als Urteil. Eine Überprüfung im Gerichtsverfahren ist dann nicht mehr möglich.

 Die Strafzumessung bei Strassenverkehrsdelikten

Für Verkehrsdelikte, welche mittels Ordnungsbussenverfahren erledigt werden können, gilt die Ordnungsbussenliste gemäss Anhang 1 der Ordnungsbussenverordnung (OBV), welche feste Tarife für eine Vielzahl von Übertretungen enthält. Diese werden ohne die Grundsätze von Art. 47 StGB anzuwenden, schematisch angewandt, ausser es handle sich um Fälle der Schuldunfähigkeit oder Schuldlosigkeit.

Für Delikte ausserhalb des Ordnungsbussenverfahrens, orientieren sich die Staatsanwaltschaften an den Empfehlungen der Schweizerischen Staatsanwälte-Konferenz SSK. Diese hat Strafmassempfehlungen für Verkehrsdelikte herausgegeben, welche die Strafen je nach Delikt schematisch definieren (vgl. die tabellarische Zusammenstellung PDF).

Die Empfehlungen der SSK gemäss Tabelle im PDF gelten nicht absolut, sondern für einen "normalen" Sachverhalt. Sie können aber als Orientierung dienen. Es ist schlussendlich der zuständige Staatsanwalt, resp. später das Gericht, die das Verschulden des Täters beurteilen und festlegen, welche Strafe für das begangene Delikt und das Verschulden des Täters angemessen ist. Bei dieser Beurteilung haben die verschiedensten Faktoren, welche zum Tatzeitpunkt vorliegen, einen Einfluss auf die auszusprechende Strafe.

 So werden zur Qualifikation und Bemessung der Strafe besonders günstige oder aber besonders ungünstige Verhältnisse berücksichtigt. Zudem haben, insbesondere beim Fahren im angetrunkenen Zustand, zusätzliche Faktoren einen Einfluss bei der Festsetzung der Strafe. Demnach wird zur Strafbemessung nicht nur auf die Alkoholkonzentration abgestützt. Vielmehr spielen auch die Fahrstrecke, die Zeit, die Fahrweise, die Geschwindigkeit und der Entschluss zum Fahren im angetrunkenen Zustand eine Rolle. Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung können beispielsweise auch der Ort und die Zeit der Begehung (z.B. um die Mittagszeit vor einem Schulhaus) einen Einfluss auf das Strafmass haben.

 Weiter werden zur Festsetzung des Strafmasses jeweils zudem allfällige Vorstrafen und (teilweise) auch das Vorleben des Täters berücksichtigt. Straftaten, welche widerholt begangen worden sind, wirken sich beispielsweise als straferhöhend aus. Ist die beschuldigte Person nicht vorbestraft, so wird eine Geldstrafe grundsätzlich bedingt ausgesprochen. Dies bedeutet, dass der Täter die Geldstrafe nicht bezahlen muss, sofern er innerhalb der angesetzten Probezeit (2 bis 5 Jahre) nicht erneut straffällig wird. In der Praxis wird bei einer bedingt ausgesprochenen Geldstrafe zusätzlich eine Busse ausgesprochen, welche bezahlt werden muss. Gemäss Empfehlungen der SSK wird diese Busse in der Regel auf 20% der Gesamtstrafe, in jedem Fall aber auf mind. CHF 300.00 festgesetzt.

Fazit

Obwohl für die Strafzumessung die Grundsätze von Art. 47 StGB berücksichtigt werden müssen, gehen die Strafverfolgungsbehörden sehr schematisch vor. Der Vorteil dieser schematischen Vorgehensweise besteht darin, dass bei häufigen Verkehrsdelikten, wie Geschwindigkeitsüberschreitungen, alle Täter "gleich" behandelt werden. Nachteil dieser "Gleichbehandlung" ist jedoch, dass die Gefahr besteht, dass die Strafe strikt gemäss der obgenannten Tabelle festgesetzt wird und die Betrachtung der im konkreten Einzelfall vorliegenden Faktoren aufgrund des mit der Häufigkeit der Verkehrsdelikte im Zusammenhang stehenden Schematismus vergessen geht. Dies kann zur Folge haben, dass die ausgesprochene Strafe nicht immer angemessen ist.

Dieser Artikel wurde erstmals im Clubmagazin des ACS Sektion Bern Ausgabe 02/2015 veröffentlicht.

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