Die Verantwortlichkeit und Haftung des Liegenschaf...
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Privatrecht

Die Verantwortlichkeit und Haftung des Liegenschaftsschätzers

Disposition

1. Einleitung

  • Die grosse Bedeutung des Auskunfts-, Beratungs- und Gutachterwesens ist angesichts der Komplexität der Lebenssachverhalte evident.
  • Problematik: Derjenige, der sich auf eine Auskunft, Beratung oder ein Gutachten verlassen hat (Auftraggeber oder Dritter), erleidet einen Schaden, wenn sich Auskunft, Beratung oder Gutachten nachträglich als unrichtig oder ungenau erweisen. Haftet der Informant, Berater oder Gutachter?
  • Thema hier vor allem: Zivilrechtliche Haftung, nicht allenfalls strafrechtliche Aspekte (z.B. Betrug, Verleitung zu Spekulation, Kreditschädigung, Urkundenfälschung etc.). Diese werden nur am Rande noch behandelt.

2. Rechtliche Haftungsgrundlagen

  • Keine spezielle Haftungsnorm im schweizerischen Recht. Haftungsgrundlagen: die allgemeinen deliktischen und vertraglichen Regeln.
  • Problematik der Abgrenzung zwischen vertraglicher und ausservertraglicher Haftung (liegt ein Vertragsverhältnis vor oder fehlt ein solches?). Abgrenzungskriterien: 

    «Ein Auskunftsvertrag i.w.S. liegt vor, wenn für die Erteilung von Rat, Auskunft, Empfehlung oder Gutachten entweder ein ausdrücklicher Vertragsschluss zugrunde liegt oder ein stillschweigender Vertragsschluss angenommen werden kann, soweit die Äusserung in Ausübung eines Gewerbes oder sonst gegen Entgelt gemacht wurde.»

2.1. Die Vertragliche Haftung

2.1.1. Regel

  • Schatzungsaufträge für Liegenschaften werden nur aufgrund eines entsprechenden Vertrages mit dem Auftraggeber ausgeführt.
  • Rechtsnatur des Vertrages: Auftrag (OR Art. 394 ff.) Form: formlos. Diese Frage wurde in der letzten Zeit kontrovers diskutiert. Während einige Kommentatoren den Schätzungsvertrag bzw. den Vertrag auf Abgabe eines Verkehrswertgutachtens als Werkvertrag bezeichnen[1] (damit haftet der Schätzer für den Erfolg!), sind wiederum andere der klaren Ansicht, es handle sich um einen Auftrag, bei welchem der Auftragnehmer nicht für den Erfolg, sondern für die Anwendung der gebotenen Sorgfalt haftet[2]. 

    Das Bundesgericht hatte nun Gelegenheit, sich mit der Rechtsnatur des Vertrages auf Abgabe eines Verkehrswertgutachtens erneut zu befassen[3] und hat klar festgehalten, dass wenn das Ergebnis eines Gutachtens nicht objektiv gemessen und bewertet werden kann, was bei einer Verkehrswertschätzung regelmässig der Fall sein wird, es sich immer um einen einfachen Auftrag nach OR Art. 394ff. handelt.

2.1.2. Begriff

  • «Der Beauftragte haftet im allgemeinen für die gleiche Sorgfalt wie der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis. Er haftet dem Auftraggeber für getreue und sorgfältige Ausführung des ihm übertragenen Geschäftes. Er hat das Geschäft persönlich zu besorgen, ausgenommen, wenn er zur Übertragung an einen Dritten ermächtigt oder durch die Umstände genötigt ist, oder wenn eine Vertretung übungsgemäss als zulässig betrachtet wird» (OR Art. 398).
  • Gemäss Natur des Auftragsverhältnisses sind für das Mass der Sorgfalt strengere Grundsätze zu beachten als beim Arbeitsvertrag. Vom Berufsmann darf erwartet werden, dass er den Anforderungen an einen tüchtigen Angehörigen seines Standes entspricht.
  • Bei zulässiger Besorgung des Geschäftes durch einen Dritten: Haftung des Beauftragten für das Handeln und Verhalten seiner Hilfsperson (vgl. hinten Ziff. 2.1.5.).

Von der Verwendung einer Hilfsperson ist die Substitution zu unter-scheiden, d.h. die Übertragung des Auftrages zur selbständigen Erledigung an einen Dritten. Bei erlaubter Substitution haftet der Beauftragte nur für gehörige Sorgfalt bei der Auswahl und bei der Instruktion des Dritten, während bei unerlaubter Substitution die Handlungen des Dritten rechtlich als Handlungen des Beauftragten gelten (analog Hilfspersonenhaftung).

2.1.3. Vertragliche Haftungsvoraussetzungen im einzelnen: 

  • Schaden (Vermögensschaden): Differenz zwischen dem Vermögen des Geschädigten vor und nach dem schädigenden Ereignis. Hinweis: Bei unrichtiger Auftragsausführung verliert der Beauftragte seinen Honoraranspruch.
  • Vertragsverletzung: Verletzung einer vertraglichen Pflicht (hier objektive Unrichtigkeit oder Fehlerhaftigkeit des Gutachtens).
  • Kausalität: Beziehung zwischen Ursache und Wirkung. Eigene Kausalitäts-theorie der Rechtswissenschaft (adäquate Kausalität):

    «Die Ursache ist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet, einen Erfolg von der Art des Eingetretenen herbeizuführen oder ihn jedenfalls zu begünstigen, wobei es durchaus ein ungewöhnlicher Zusammenhang sein kann».

    Ziel der adäquaten Kausalitätstheorie: vernünftige Haftungsbegrenzung

    Problem im Bereich der Gutachtenshaftung: Schadensverursachung nicht direkt durch das Gutachten, sondern erst aufgrund der nachfolgenden Disposition des Empfängers.

    Mitursächlichkeit ist genügend. Ist das Gutachten vom eingetretenen Schaden jedoch derart entfernt, dass die Disposition des Geschädigten als alleinige Ursache für den Schadenseintritt zu betrachten ist, liegt Inadäquanz vor: keine Haftung (z.B. unrichtiges Gutachten durch einen Notar, wobei der Schaden auch bei richtiger Beratung nicht hätte abgewendet werden können).

    Indizien der Adäquanz bzw. Inadäquanz:
    – Zeitspanne zwischen Gutachten und Disposition
    – Gesamtes Verhalten des Gutachtenempfängers.
    – Person des Geschädigten, insbesondere deren eigene Sachkunde
    – Art und Weise der Abgabe des Gutachtens

  • Verschulden. Formen:
    – Vorsatz (Handeln mit Wissen und Willen)
    – Fahrlässigkeit (Handeln in Verletzung einer Sorgfaltspflicht)

    An das Handeln des Beauftragten ist ein objektiver Sorgfaltsmassstab anzulegen, und zwar unter dem Gesichtspunkt des berufsspezifischen Durchschnittsverhaltens. Die «Regeln der Kunst» sind einzuhalten. An den Spezialisten dürfen hohe Anforderungen gestellt werden.

    Beurteilungskriterien:
    – Berücksichtigung der Berufsgattung und der berufliche Stellung
    – Ausbildungsstand und Spezialisierungsgrad
    – Titel
    – Werbung
    – Auftreten und Gebaren im Geschäftsleben.

    Haftung für jedes Verschulden (d.h. auch für leichte Fahrlässigkeit)

    Der Beauftragte darf einen Auftrag nur annehmen, wenn er der entsprechenden Geschäftsbesorgung gewachsen ist. Er vermag sich also nicht auf Ausbildungsmängel, fehlende Erfahrung oder Neuerungen in der Forschung zu berufen. Nur eine selbstkritische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten vermag ein sogenanntes «Übernahmeverschulden» zu vermeiden.

  • Mögliche Haftungseingrenzungen
    – Gründlichkeit und Vollständigkeit der Arbeit (vgl. z.B. Anhang 1)
    – Abmahnende Hinweise im Gutachten (z.B. «Dieses Gutachten ist unter Berücksichtigung der uns zur Verfügung stehenden Unterlagen und den uns bekannten Gegebenheiten erstellt worden.»)

2.1.4. Schadenersatzberechnung und -bemessung (nur Hinweise)

2.1.5. Haftung für Hilfspersonen

  • Der jeweilige Geschäftsherr haftet für schädigendes Verhalten seiner Hilfspersonen, die er für die Erfüllung einer vertraglichen Pflicht heranzieht, wenn sie in Ausübung ihrer Verrichtungen handeln (OR Art. 101 Abs. 1).
  • Hilfspersonen: Alle Personen, die mit Wissen und Willen des Beauftragten bei der Leistungserbringung tätig werden (vor allem Mitarbeiter, aber auch büroexterne Hilfspersonen).

2.1.6. Ausschluss der Haftung (Freizeichnung)

  • Nur Haftung für leichte Fahrlässigkeit kann rechtsgültig wegbedungen werden, nicht jedoch Haftung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (OR Art. 100).
  • Freizeichnung muss durch eine zum voraus getroffene Vereinbarung erfolgen (Vertrag, allgemeine Geschäftsbedingungen).

2.1.7. Verjährung

  • Schadenersatzansprüche aus Vertragsverletzung verjähren innerhalb von 10 Jahren ab der schädigenden Handlung.

2.2. Ausservertragliche Haftung

2.2.1. Mögliche Tatbestände:

  •  Kaum realistisch: Schatzungen z.B. bei gesellschaftlichen Anlässen, d.h. ausserhalb eines beruflichen Bezuges («Gefälligkeitsauskunft»).
  • –Grosse Problematik: Weitergabe von Gutachten an Dritte. Zwischen dem Dritten und dem Gutachter besteht regelmässig überhaupt kein Kontakt., d.h. in diesem Verhältnis fehlt mit Sicherheit jede vertragliche Beziehung. Das Vertragsverhältnis besteht nur zwischen dem Gutachter und seinem Auftraggeber. Haftung gegenüber Dritten kann aber ausservertraglich vorliegen.

2.2.2. Begriff

Wer einem anderen widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet. Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossender Weise absichtlich Schaden zufügt (OR Art. 41).

2.2.3. Ausservertragliche Haftungsvoraussetzungen im einzelnen:

  • Schaden: vgl. Ausführungen zur vertraglichen Haftung.
  • Kausalität: vgl. Ausführungen zur vertraglichen Haftung.
  • Verschulden: vgl. Ausführungen zur vertraglichen Haftung. Es gilt der gleiche Sorgfaltsmassstab.
  • Rechtswidrigkeit:
    – Der Begriff im allgemeinen: Vorliegen eines Verstosses gegen das «Recht». Ein schädigendes Verhalten ist dann rechtswidrig, wenn es gegen geschriebene oder ungeschriebene Gebote oder Verbote unserer Rechtsordnung verstösst, die dem Schutz des verletzten Rechtsgutes dienen.
    – Praxis des Bundesgerichts zur Rechtswidrigkeit bei der Haftung für Rat, Auskunft, Empfehlung und Gutachten:
    – Bisherige Praxis: Gleichsetzung der Rechtswidrigkeit mit der Unrichtigkeit von Rat, Auskunft, Empfehlung oder Gutachten.
    - Neuere Praxis: Schutzpflichten (vgl. Ziff. 2.3. hiernach).

2.2.4. Verjährung

Schadenersatzansprüche aus Delikt verjähren innerhalb 1 Jahres vom Tage an, wo der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat, jedenfalls aber mit dem Ablauf von 10 Jahren vom Tage der schädigenden Handlung an gerechnet (OR Art. 60).

2.3. Haftung nach der Vertrauenstheorie ("Gewährung in Anspruch genommenen Vertrauens")

Es geht um die folgende Konstellation: Ein Schätzer gibt ein Gutachten ab, welches als Grundlage für eine Vermögensdisposition dient (Erbauscheidung, Abfindung, Kaufvertrag, etc.). Der objektive Wert weicht vom geschätzten Wert ab, wodurch sich eine Partei am Vermögen schädigt (bezahlt zu viel, zu wenig, die Ausscheidung aus der Erbengemeinschaft er-folgt zu billig/zu teuer, etc.). Haftet der Gutachter für das Vertrauen, das die Parteien (oder sogar ein nicht beteiligter Dritter) in die Richtigkeit des Gut-achtens gesetzt haben?

2.3.1. Begriff

  • «Zwischending» zwischen vertraglicher und ausservertraglicher Haftung als eigene Haftungsgrundlage. Es muss ein sogenannter Vertrauenstat-bestand vorliegen, der eine Schutzpflicht für Inanspruchnahme und Ge-währung von Vertrauen schafft. Haftung bei Verletzung dieses Vertrauens.

    Anforderungen an einen rechtsgenügenden Vertrauensbestand:
  • Vorliegen einer berufseinschlägigen Äusserung.
  • Massgebend ist der Beruf resp. die berufliche Stellung des sich Äussernden.
  • Berufe mit staatlicher Anerkennung sind in besonderem Masse geeignet, Vertrauen zu erwecken.
  • Der Begriff der «Berufseinschlägigkeit» ist weit zu fassen: abzustellen ist auf die dem Publikum gegenüber zu erkennen gegebene Bereitschaft, Geschäfte, welche besondere Sachkunde voraussetzen, für sie zu besorgen.
  • Eigenwerbung oder gar Selbstberühmung (soweit nicht offensichtliche reklamehafte Übertreibung vorliegen) sind ebenfalls in hohem Masse geeignet, Vertrauen zu erwecken.
  • Die Entgeltlichkeit ist grundsätzlich unbeachtlich (wobei ein allfälliges Entgelt einen «härteren» Vertrauenstatbestand bewirkt).

2.3.2. Die übrigen Haftungsvoraussetzungen

  • Disposition: Vertrauen wird nicht um seiner selbst willen geschützt, sondern nur die auf den Vertrauenstatbestand abgestützte Disposition.
  • Kausalität: Zwischen Vertrauen und Disposition muss ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen (vgl. Ziff. 2.1.3. hievor).
  • Verschulden des Schädigers (vgl. Ziff. 2.1.3. hievor).

2.3.4. Verjährung

  • Die aus der Vertrauenshaftung resultierenden Schadenersatzansprüche unterliegen mangels einer speziellen Vorschrift der allgemeinen Verjährungsfrist von 10 Jahren.

3. Konkrete Anwendungsfälle in der Praxis

3.1. Fall 1 aus Deutschland

Der Eigentümer einer Liegenschaft holt bei einem Architekten unter Hinweis auf Verkaufsabsichten ein Gutachten über den Wert seines Hausgrundstücks ein. Er verschweigt dem Gutachter schwerwiegende Mängel der Dach-konstruktion und hält ihn davon ab, das Dachgeschoss zu besichtigen. Im Gutachten wird der bauliche Zustand des Hauses als gut angegeben. Der Käufer, welcher das Grundstück zum Preis des gutachtlichen Werts erwirbt, muss die baufällige Dachkonstruktion ersetzen.

Gefragt war die Haftung des Gutachters. Der Deutsche Bundesgerichtshof hat einen Ersatzanspruch des Käufers aus sogenanntem Vertrag mit Drittschutzwirkung bejaht (Fall von Vertrauenshaftung), da das Gutachten objektiv falsch und für den Kaufentschluss des Dritten ausschlaggebend gewesen sei.

3.2. Fall 2 aus Deutschland (Oberlandesgericht Schleswig-Holstein vom 19. März 2000):

Ein Grundstückmakler war beauftragt, ein bebautes Grundstück zu vermarkten. Auf Frage des Kunden schätzte er den Verkehrswert des Grund-stückes auf DM 260'000.-- bis 270'000.--. Das Grundstück wurde dann zu einem Preis von DM 260'000.-- verkauft. Nach Abschluss des Kaufvertrages meldete sich ein Interessent, welcher für das Grundstück DM 320'000.-- bot. Der Kunde verklagte den Makler danach auf die Differenz zwischen dem Schätzwert und dem Angebot des Interessenten. Im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung wurde ein weiteres Gutachten erstellt, welches dem Grundstück einen Verkehrswert von DM 305'000.-- bescheinigte. Der Makler wurde dann vom Oberlandesgericht zur Bezahlung der Differenz von DM 45'000.-- als Schadenersatz verurteilt.

Begründet wurde dieses überraschende Urteil damit, dass mit einem Maklervertrag ein besonderes Treueverhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer entstehe, das den Makler verpflichte, alle Auskünfte, die sich auf den Geschäftsabschluss (den Verkauf) bezogen und für die Willensentschliessung des Auftraggebers wesentlich sein konnten, richtig und vollständig zu erteilen. Das bedeute, dass der Makler seinen Auftraggeber auch über den Verkaufswert eines Objektes beraten muss. Der Makler habe zwar einen Beurteilungsspielraum, wenn er diesen aber überschreite, hafte er für den eingetretenen Schaden. Im hier vorliegenden Fall schloss das Gericht, dass ein überzeugendes Gutachten mit einem Wert von DM 305'000.-- vorliege, weshalb der vom Makler genannte Wert von DM 260-270'000.-- schlicht nicht sein könne. Der Beurteilungsspielraum wurde vom Gericht mit plus/minus 10% (!) angegeben.

Passiert hier eine Angleichung zum Architektenrecht, wo der Architekt für die Überschreitung seines Kostenvoranschlages von mehr als 10% haftet?

3.3. Fall 3 Bundesgericht, I. Zivilabteilung, Urteil Nr. 4C.28/2001/rnd vom 11. Mai 2001:

Das Bundesgericht hatte folgenden Fall zu beurteilen: In einem Erbteilungsprozess zwischen A und B wurde die X AG mit der Verkehrswertschätzung der Liegenschaft beauftragt. Sie schätzte diese im Gutachten von 1994 auf Fr. 573'000.--. Die Gerichtsinstanzen stellten im Einverständnis von A und B auf diesen Wert ab und wissen A die Liegenschaft zum geschätzten Wert zu. 1999 verkaufte A das Grundstück zum Preis von Fr. 440'000.-- und machte bei der X AG Schadenersatz von gut Fr. 32'000.-- geltend. Zur Begründung führte er an, dass die Steuerverwaltung Thurgau einen Verkehrswert von Fr. 361'000.--, die Thurgauer Kantonalbank einen solchen von Fr. 445'000.-- und ein neues Gutachten einen solchen von Fr. 456'000.-- ausweisen.

Das Bundesgericht hielt zunächst einmal fest, dass der Schätzungsvertrag den Regeln des Auftrags folge, weshalb die X AG grundsätzlich für die gebotene Sorgfalt, aber nicht für den Erfolg des Gutachterwertes hafte (vgl. Ziff. 2.1.1. hiervor). Das Mass der Sorgfalt bestimme sich nach objektiven Kriterien. Erforderlich ist grundsätzlich die Sorgfalt, welche ein gewissen-hafter Vertragspartner in der gleichen Lage bei der Erstellung einer Verkehrswertschätzung anzuwenden pflegt. Bestehen für eine Berufsart oder ein bestimmtes Gewerbe allgemein befolgte Verhaltensregeln oder Usanzen, können sie bei der Bestimmung des Sorgfaltsmasses herangezogen werden (Erwägung 3).

In der Folge untersuchte das Bundesgericht die Methode der Schätzung, welche die X AG dem Gutachten zugrunde gelegt hat. Diese verwies darauf, dass sie die Richtlinien der damaligen Schweizerischen Bankgesellschaft von 1993 eingehalten habe. Dass diese Regeln nicht dem neusten Stand der Wissenschaft entsprochen hätten, wurde durch A im Verlauf des Prozesses nicht geltend gemacht. Das Bundesgericht stellte also darauf ab, dass diese Richtlinien Stand der Wissenschaft waren und sie mit dem Gutachten eingehalten worden sind. Deshalb hat es eine Haftung verneint.

Fazit: Das Bundesgericht bemisst den Haftungsmassstab so, dass es danach forscht, ob er Liegenschaftsschätzer die Erkenntnisse der Wissenschaft umsetzt oder nicht. Folgt er den neuen Regeln nicht oder wendet eindeutig überholte Grundsätze an, so ist zu erwarten, dass das Bundesgericht eine Haftung bejahen und damit eine Schadenersatzklage schützen würde. Deshalb ist es für den Berufsstand äusserst wichtig, sich ständig weiterzubilden, um auf dem neusten Stand zu bleiben. Wie es sich mit (noch) nicht allgemein durchgesetzten Methoden verhält, bleibt offen. Jedenfalls ist klar, dass der Schätzer gut daran tut, sich ständig auf dem laufenden zu halten. Es bietet sich meines Erachtens geradezu an, auf dem Gutachten anzugeben, nach welcher Methode man die Schätzung vorgenommen hat, um die Beweisführung im Prozessfall leichter zu machen.

4. Schlussfolgerungen 

  • Der Liegenschaftenschätzer steht im Risiko einer Haftung sowohl gegenüber seinem Auftraggeber als gegebenenfalls auch gegenüber Dritten, die sich auf sein Gutachten abstützen.
  • Liegenschaftenbewertungen beinhalten von der Art des Auftrages her einen erheblichen Ermessensspielraum. Die Beurteilungen des Schätzers können durch seine Berufspraxis und entsprechende Erfahrungen subjektiv beeinflusst sein. Daraus und im Hinblick auf die oft stark unterschiedliche Interessenlage der Beteiligten ergibt sich für den Liegenschaftenbewerter ein nicht zu unterschätzendes Risiko
  • Bei sorgfältiger Ausführung des Auftrages stellt dieses Risiko in der Regel kein Problem dar. Sorgfaltsmassstab sind dabei die anerkannten Berufs-regeln. Er hat bei der Bewertung die allgemein gültigen Schätzungsregeln zu beachten und dem Gutachten zugrunde zu legen.
  • Solange die Bewertung unter Beachtung der massgeblichen Berufsregeln im naturgemässen Ermessensspielraum liegt, besteht grundsätzlich kein Haftungsrisiko. Erst wenn die Berufsregeln verletzt und die Bewertung ausserhalb des Ermessensspielraums liegt, wird es kritisch.
  • Zum Abschluss: Als Faustregel für einen Liegenschaftenschätzer kann gelten: Solange der Schätzer bereit ist, die Liegenschaft zu dem von ihm geschätzten Wert selber zu übernehmen, ist die Schätzung sicherlich innerhalb des Ermessensspielraums. 

5. Eine mögliche Zukunft des Haftpflichtrechts bei Dienstleistungen?

Der EU-Vertrag verpflichtet die Mitgliedstaaten in Art. 100a, ein hohes Schutzniveau im Verbraucherschutzrecht zu errichten. Diese Forderung wurde bereits zum Teil mit der EU-Richtlinie für die Haftung für Produkte erfüllt. In der Schweiz wurde dieses Richtlinie mit den Eurolex-Vorlagen durch das Produkthaftpflichtgesetz bereits umgesetzt.

Im Jahre 1990 wurde ein erster Entwurf einer Richtlinie über die Haftung von Dienstleistungen vorgelegt. Unter anderem wegen der zu starken Verein-heitlichung wurde diese Richtlinie 1992 zur Überarbeitung zurückgezogen. Es ist zu erwarten, dass verschiedene Richtlinien für Berufsgruppen und somit auch für (Immobilien-)Treuhänder geschaffen werden. Es steht zu erwarten (oder zu befürchten?), dass die Schweiz eine entsprechende EU-Richtlinie relativ schnell in das Schweizerische Recht überführen wird, weshalb der Blick über die Grenzen sicherlich nicht schadet.

Was sah der Entwurf vor?

  • Der Entwurf sah vor, dass der Dienstleister für den Personen- und Sachschaden haften soll, welcher durch sein Verschulden angerichtet wird (Art. 1).
  • Es obliegt aber dem Dienstleister, sein Nichtverschulden zu beweisen. Damit wird die Haftung zu einer Gefährdens- oder Garantiehaftung mit einer Umkehr der Beweislast. Der Geschädigte hat nur noch den Schaden und die Kausalität zu beweisen, der Dienstleister jedoch, dass er die gebotene Sorgfalt beachtet hat (Art. 1 Abs. 2 und Art. 5).
  • Die Haftung besteht sowohl für die entgeltliche als auch für die unentgeltliche Dienstleistung. Voraussetzung ist nur, dass die Leistung im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit oder eines öffentlichen Dienstes und unabhängig erbracht worden ist (Art. 2 Abs. 1).
  • Eine Begrenzung der Haftung durch Vertrag mit dem Auftraggeber ist nicht möglich (Art. 7).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine zukünftige EU-Richtlinie eine Kausalhaftung mit Beweislastumkehr bezüglich des Verschuldens mit sich bringen wird.
Die Beweislastumkehr wird einen grossen Dokumentationsaufwand der Tätigkeiten unerlässlich machen, ansonsten der Beweis der Sorgfalt von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist.

6. Strafbarkeit durch Schätzungen?

Wie eingangs erwähnt, liegt der Schwerpunkt meiner Ausführungen bei der zivilrechtlichen Haftung für mangelhaft erstellten Gutachten. Der Vollständigkeit halber erwähne ich hiermit noch zwei relevante Straftatbestände, welche dem Immobilienschätzer «begegnen» könnten. Ein umfassender Überblick würde den Rahmen des hier gebotenen sprengen.

Allgemein kann gesagt werden, dass eine Strafbarkeit nur gegeben ist, wenn ein Vorsatz gegeben ist. Der Täter - hier der Immobilienschätzer - muss den (strafwürdigen) Erfolg seiner Handlung gewollt haben, wobei der sogenannte Eventualvorsatz genügt, also wenn er sich sagt: «Ich sehe den Erfolg als möglich an und wenn er eintritt, soll es mir Recht sein».

6.1. Falschbeurkundung durch inhaltlich falsches Gutachten

Bsp: Der Schätzer weiss, dass er aufgeschobenen Unterhalt am Gebäude (bewusst) nicht berücksichtigt hat, kommt zu einem zu hohen Wert, welcher dann dazu dient, eine (zu) hohe Fremdfinanzierung zu ermöglichen.

Falschbeurkundung im Sinne von Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 StGB begeht, wer eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet oder beurkunden lässt. Nach der Praxis kann die Beweisbestimmung eines Schriftstückes einerseits sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben und andererseits aus dessen Sinn oder Natur abgeleitet werden.
Das Bundesgericht hat die Beweisbestimmung bejaht für Liegenschaftsschätzungen, vorgenommen von einem berufsmässigen Schätzer im Hinblick auf die Gewährung von Bankkrediten (unveröffentlichtes Urteil vom 19. November 1987 i. S. P. K.).

Fazit: Achtung vor «Gefälligkeitsgutachten» für einen Eigentümer («schätzen Sie bitte hoch»). Aber: Der Vorsatz muss dem Schätzer nachgewiesen werden.

6.2. Steuerhinterziehung durch Gutachten?

Vorsätzlich gemachte Falschangaben über wertvermehrende Aufwendungen, deren Glaubwürdigkeit mit dem Bericht eines Architekten erhöht wird, stellt eine schwerwiegende Steuergefährdung dar und rechtfertigt eine Maximalbusse. Der Architekt ist Gehilfe (Steuerrekurskommission Bern, 18.10.1988; NStP 43/1989, S. 12 ff). Durch ein Gutachten, welches solcherart die Glaubwürdigkeit von Falschangaben des Eigentümers stützen soll, kann somit Gehilfenschaft zur Steuerhinterziehung begangen werden. Aber auch hier: Vorsatz des Schätzers muss bewiesen werden.

7. Abmahnung des Referenten

«In den vorgehenden Ausführungen wurden verschiedene Informationen vermittelt, worauf die Hörer oder die Leserschaft möglicherweise vertrauen. Gleich-wohl besteht keine Haftung, da nicht im berechtigten Vertrauen auf Aus-führungen in einer juristischen Publikation weitergehende Dispositionen vorgekehrt werden dürfen, jedenfalls nicht ohne Konsultation anderweitiger Stellungnahmen in den Lehrbüchern und der Kommentarliteratur sowie der einschlägigen Praxis. Sollte also jemand aufgrund dieses Vertrauens in die hier gegebenen Informationen einen Prozess gegen einen Schädiger anstrengen und unterliegen, wäre der Referent für den entstandenen Vermögensschaden nicht haftbar. Ich schliesse deshalb mit dem Hinweis, dass sämtliche Angaben, Hinweise und Schlussfolgerungen ohne Gewähr erfolgen.»

Fussnoten

  1. Alfred Koller, Berner Kommentar, N. 233 zu Art. 363 OR; Gauch, Der Werkvertrag, 4. Auflage, S.99 

  2. Fellmann, Berner Kommentar, N. 330 zu 394; Merz, ZBJV 1991, S. 253ff. 

  3. Urteil der I. Zivilabteilung, Nr. 4C.28/2001/rnd vom 11. Mai 2001

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