Das revidierte Erbrecht per 1. Januar 2023
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Privatrecht

Das revidierte Erbrecht per 1. Januar 2023

Am 1. Januar 2023 tritt die erste Etappe der Erbrechtsrevision in Kraft. In weiteren Revisionsetappen werden zu einem späteren Zeitpunkt die erbrechtliche  Unternehmensnachfolge, die Informationsrechte der Erben, die Aufsicht über den Willensvollstrecker sowie die Revision des internationalen Erbrechts behandelt.

Im Rechtsbrief von Notar Christoph Lüthi vom November 2021 wurden bereits relevante Punkte der Erbrechtsrevision erläutert. Zur Erinnerung werden hier die wichtigsten  Punkte nochmals aufgeführt:

  • Die Pflichtteilsansprüche der Nachkommen werden auf neu einen Zweitel des gesetzlichen Erbanspruchs reduziert (bisher hatten die Nachkommen einen Pflichtteil von drei Vierteln des gesetzlichen Erbanspruchs).
  • Der Pflichtteilsanspruch der Eltern wird aufgehoben (bisher hatten die Eltern einen Pflichtteil von einem Zweitel des gesetzlichen Erbanspruchs).
  • Ehegatten und eingetragene Partner verlieren ihren Pflichtteilsschutz während dem hängigen Scheidungsverfahren bzw. während dem Verfahren zur Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft (bisher entfiel das Pflichtteilsrecht des Ehegatten / eingetragenen Partners erst mit rechtskräftigem Scheidungsurteil).
  • Die verfügbare Quote bei der Nutzniessung gemäss Art. 473 ZGB zugunsten des überlebenden Ehegatten / eingetragenen Partners wird neu auf die Hälfte des Nachlasses  erhöht (bisher betrug die verfügbare Quote einen Viertel des Nachlasses).
  • Die überhälftige Vorschlag- bzw. Gesamtgutszuweisung durch Ehe- und Vermögensvertrag wird als Zuwendung unter Lebenden qualifiziert. Dies hat Auswirkungen auf die Berechnung der Pflichtteile und auf die Reihenfolge der Herabsetzung.
  • Klarstellung der erbrechtlichen Behandlung der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a): Die gebundene Selbstvorsorge ist nicht Teil der Erbmasse. Sofern es jedoch zu einer  Verletzung von Pflichtteilen kommt, unterliegt sie der Herabsetzung.

Der vorliegende Artikel geht auf weitere relevante Punkte der Erbrechtsrevision ein.

Schenkungsverbot nach Abschluss eines Erbvertrages

Nach bisherigem Recht und bisheriger Rechtsprechung (BGE 140 III 193) waren lebzeitige Schenkungen nach Abschluss eines Erbvertrages grundsätzlich zulässig, das heisst,  eine Person konnte nach Abschluss eines Erbvertrages über ihr gesamtes Vermögen weiterhin frei verfügen. Etwas anderes galt nur, wenn im Erbvertrag unter den  Vertragsparteien ein explizites Schenkungsverbot vereinbart wurde oder wenn eine lebzeitige Schenkung offensichtlich mit einer Schädigungsabsicht erfolgte. Diese  Rechtsprechung wurde in der juristischen Lehre kritisiert. Mit dem neuen Erbrecht erfolgt diesbezüglich ein Paradigmenwechsel. Das revidierte Erbrecht geht mit dem neuen Art. 494 Abs. 3 nZGB vom Grundsatz eines Schenkungsverbots aus. Ausgenommen von diesem Schenkungsverbot sind die üblichen Gelegenheitsgeschenke. Neu sind somit alle Verfügungen von Todes wegen und alle Zuwendungen unter Lebenden anfechtbar, welche:

  •  über übliche Gelegenheitsgeschenke hinausgehen,mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind und
  • im Erbvertrag nicht explizit als zulässig erklärt wurden.

Im Rahmen der Nachlassplanung ist dieser Grundsatzänderung besondere Beachtung zu schenken. Der neue Art. 494 Abs. 3 nZGB stellt nicht zwingendes Recht dar und kann somit von den Parteien im Erbvertrag abgeändert werden. Wollen die Vertragsparteien eines Erbvertrages nach Vertragsabschluss weiterhin die Freiheit haben, lebzeitige Schenkungen vorzunehmen, so ist dies im Erbvertrag neu explizit festzuhalten bzw. die Höhe der Verfügung zu definieren. Wurde bereits vor Einführung des revidierten  Erbrechts ein Erbvertrag errichtet, empfiehlt es sich, diesen zu überprüfen und gegebenenfalls dem tatsächlichen Parteiwillen anzupassen.

Regelung der Reihenfolge der Herabsetzung

Unter bisherigem Recht waren in der juristischen Lehre und Rechtsprechung etliche Fragen betreffend Reihenfolge und Gegenstand der Herabsetzung umstritten. Mit der neuen Gesetzesrevision sollen diese Unklarheiten beseitigt werden. Der neue Art. 522 nZGB stellt klar, dass Erben, welche dem Werte nach weniger als den Pflichtteil erhalten, die  Herabsetzung der Erwerbungen und Zuwendungen in folgender Reihenfolge verlangen können, bis ihr Pflichtteil hergestellt ist:

  • der Erwerbungen gemäss der gesetzlichen Erbfolge;
  • der Zuwendungen von Todes wegen;
  • der Zuwendungen unter Lebenden.

Art. 532 Abs. 2 nZGB definiert weiter folgende Reihenfolge für die Herabsetzung der Zuwendungen unter Lebenden:

  • die der Hinzurechnung unterliegenden Zuwendungen aus Ehevertrag oder Vermögensvertrag;
  • die frei widerruflichen Zuwendungen und die Leistungen aus der gebundenen Selbstvorsorge, im gleichen Verhältnis;
  • die weiteren Zuwendungen, und zwar die späteren vor den früheren.

Durch diese neuen gesetzlichen Klarstellungen werden bisher in der juristischen Lehre und Rechtsprechung umstrittene Punkte in Bezug auf die Reihenfolge der Herabsetzung beseitigt und damit die Rechtssicherheit gefördert.

Gesetzliche Erbfolge und Erbquoten

Keine Anpassung des Erbrechts erfolgt im Bereich der gesetzlichen Erbfolge und der Erbquoten. Der Kreis der gesetzlichen Erben sowie die gesetzlichen Erbquoten bleiben unverändert bestehen und entsprechen der bisherigen Regelung. Will ein Erblasser seinen faktischen Lebenspartner (Konkubinatspartner) bzw. seine Stief- oder Pflegekinder begünstigen, kann dies wie unter bisherigem Recht nur durch die Errichtung eines Testaments oder durch Abschluss eines Erbvertrages (als Erbeinsetzung oder durch  Ausrichtung eines Vermächtnisses) oder durch eine lebzeitige Begünstigung erfolgen.

Fazit

Die erste Etappe des revidierten Erbrechts tritt am 1. Januar 2023 in Kraft und findet auf sämtliche Todesfälle, welche nach dem 1. Januar 2023 eintreten, Anwendung (sog. Todestagprinzip). Ob ein Testament oder ein Erbvertrag vor oder nach dem 1. Januar 2023 abgeschlossen wurde, ist hingegen unerheblich. Insbesondere aufgrund des neu  geltenden grundsätzlichen Schenkungsverbots kann ein bereits abgeschlossener Erbvertrag dem tatsächlichen Willen der Parteien in Bezug auf die Verfügungsfreiheit zu  Lebzeiten ab dem 1. Januar 2023 widersprechen. Aus diesem Grund ist es wichtig, noch unter altem Recht abgeschlossene Testamente oder Erbverträge auf ihre Gültigkeit bzw. Korrektheit zu überprüfen und allenfalls anzupassen. Gerne sind wir Ihnen dabei behilflich.

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