Eigenbedarf im Mietrecht
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Privatrecht

Eigenbedarf im Mietrecht

Sie sind Eigentümer einer Liegenschaft, die Sie vermietet haben. In welchen Fällen ist nach Mietrecht ein Eigenbedarf des Vermieters von Bedeutung?[1]

Eigenbedarf gehört zu den klassischen Kündigungsgründen eines Vermieters. Gesetzlich ist der Begriff des Eigenbedarfs nicht definiert. Nach Gerichtspraxis setzt der Eigenbedarf voraus, dass der Vermieter ernsthafte, nach den Umständen einleuchtende Gründe geltend machen kann, die vermieteten Räume für sich bzw. nahe Verwandte oder Verschwägerte zu beanspruchen.[2] Der Eigenbedarf muss zudem konkret und aktuell sein, also nicht bloss hypothetisch oder zukünftig. Der Begriff des Eigenbedarfs bzw. des dringenden Eigen­bedarfs findet sich in drei mietrechtlichen Bestimmungen:

  • Kündigung nach Handänderung (Art. 261 Abs. 2 lit. a OR);
  • Kündigung während Kündigungssperrfrist (Art. 271a Abs. 3 lit. a OR);
  • Eigenbedarf im Erstreckungsverfahren (Art. 272 Abs. 2 lit. d OR).

Kündigung nach Handänderung

Bei Wohn- und Geschäftsräumen kann der Erwerber einer Liegenschaft das Mietverhältnis als Ausnahme von der Regel «Kauf bricht Miete nicht» mit der gesetzlichen Frist auf den nächsten gesetzlichen (nicht vertraglichen) Termin kündigen, wenn er einen dringenden Eigenbedarf für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte geltend machen kann.[3] Der Erwerber kann somit auch einen langfristigen oder befristeten Mietvertrag vorzeitig kündigen. Der Erwerber kann erst nach dem Eigentümerwechsel kündigen, wobei der Eintrag im Tagebuch massgebend ist.[4] Es gilt eine Ausnahme: Wenn der Erwerber eine Liegenschaft nach einem sogenannten Doppelaufruf erworben hat (d.h. Versteigerung mit oder ohne Mietverhältnis), muss er keinen dringenden Eigenbedarf nachweisen.[5]

Unterlässt der Erwerber die Kündigung auf den nächstmöglichen gesetzlichen Termin, ist sein Kündigungsanspruch verwirkt. Er ist dann auf die übrigen vertraglichen und gesetzlichen Kündigungsmöglichkeiten beschränkt. Das ausserordentliche Kündigungsrecht des Erwerbers entfällt, wenn der Mietvertrag im Grundbuch vorgemerkt ist.[6] Der Begriff des dringenden Eigenbedarfs beeinflusst bei der Kündigung nach Handänderung die Gültigkeit bzw. Wirksamkeit der Kündigung.

Kündigung während der Kündigungssperrfrist 

Die Kündigungssperrfrist wird durchbrochen, wenn der Vermieter wegen dringenden Eigenbedarfs für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte kündigt.[7] Der Gesetzgeber hat hier den dringenden Eigenbedarf höher gewichtet als das Schutzbedürfnis des Mieters nach einem eine Kündigungssperrfrist auslösenden Tatbestand (v.a. einem vorangegangenen Mietprozess zwischen den Parteien). Auch hier beeinflusst der Begriff des dringenden Eigenbedarfs die Gültigkeit bzw. Wirksamkeit der Kündigung.

Eigenbedarf im Erstreckungsverfahren

Verlangt ein Mieter die Erstreckung des Mietverhältnisses, findet u.a. eine Interessenabwägung zwischen der Härte der Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter und einem allfälligen dringenden Eigenbedarf des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte statt. Hier stellt der dringende Eigenbedarf des Vermieters lediglich eines unter mehreren Interessen des Vermieters im Rahmen einer Interessenabwägung dar.[8]

Missbräuchlichkeit einer Kündigung

Ausserhalb dieser gesetzlich geregelten Fälle ist der Begriff des dringenden Eigenbedarfs auch anwendbar, um den Verstoss einer ordentlichen Kündigung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne von Art. 271 f. OR zu bestimmen.

Die ordentliche Kündigung eines Mietvertrages setzt keine besonderen Kündigungsgründe voraus. Vermieter sind grundsätzlich frei, ein Mietverhältnis unter Einhaltung von Fristen und Terminen zu kündigen.[9] Einzige Schranke bildet der Grundsatz von Treu und Glauben.

Eine Kündigung ist anfechtbar, wenn sie gegen diesen Grundsatz verstösst.[10] Nach Praxis des Bundesgerichts gilt eine Kündigung als treuwidrig, wenn sie ohne objektives, ernsthaftes und schützenswertes Interesse und damit aus reiner Schikane erfolgt oder Interessen der Parteien tangiert, die in einem krassen Missverhältnis zueinanderstehen.[11] Ist im Zeitpunkt einer Kündigung echter und nicht bloss vorgeschobener Eigenbedarf gegeben, liegt in der Regel keine missbräuchliche Kündigung vor. 

Personenkreis des dringenden Eigenbedarfs

Das Gesetz nennt den Vermieter, der nicht zwingend Eigentümer des Mietobjekts sein muss. Auch ein Untervermieter kann sich auf Eigenbedarf berufen. Sind mehrere Personen Vermieter, genügt es, wenn der Eigenbedarf bei einem von mehreren Vermietern vorliegt. Auch die öffentliche Hand kann sich auf Eigenbedarf berufen.

Das Gesetz nennt neben dem Vermieter auch dessen nahe Verwandte oder Verschwägerte. Die Grenzziehung zwischen nahen und entfernten Verwandten ist fliessend. In jedem Fall gelten Kinder, Enkel, Eltern, Grosseltern, Geschwister und deren Ehegatten sowie auch Nichten und Neffen als nahe Verwandte. Nicht vom Wortlaut des Gesetzes erfasst sind etwa nahe Bekannte, Freunde oder Konkubinatspartner.

Eigenbedarf im Sinne des Gesetzes kommt bei juristischen Personen nur infrage, wenn das Mietobjekt durch diese selber und entsprechend ihrem Zweck genutzt werden soll (z.B. als Büro oder Werkstatt für den eigenen Betrieb).

Fazit

Bevor durch einen Vermieter eine Kündigung wegen Eigenbedarfs ausgesprochen wird, lohnt es sich, die Rechtslage zum Voraus sorgfältig zu klären. Die Anwälte und Notare unserer Kanzlei stehen Ihnen dabei gerne zur Verfügung.

Fussnoten

  1. Näheres zum Thema vgl. AJP/PJA, 3/2023, S. 300 ff.

  2. BGE 99 II 50 E.2.

  3. Art. 261 Abs. 2 lit a OR.

  4. Art. 948 ZGB.

  5. Art. 142 SchKG.

  6. Art. 261b Abs. 2 OR.

  7. Art. 271a Abs. 3 lit. a OR.

  8. Art. 272 Abs. 2 lit. d OR.

  9. Art. 266a OR.

  10. Art. 271 Abs.1 und Art.271a OR.

  11. BGE 142 III 91 E. 3.2.1.

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