Die Raumplanung in der Schweiz ist erschüttert
Seitenbeginn

Öffentliches Recht

Die Raumplanung in der Schweiz ist erschüttert

«Qualität der Gesetzgebung im Sinkflug» – So lautet der Titel des Artikels eines Professors.[1] Das harte Urteil aus der Lehre ist generell.

Das ZGB enthält rund 1000 Artikel und trat am 1. 1. 1912 in Kraft. Die erste Revision trat am 1. 2. 1931, also nach fast zwanzig Jahren, in Kraft.

Das eidgenössische Raumplanungsgesetz RPG umfasst 39 Artikel und trat am 1. 1. 1980 in Kraft. Die erste Revision trat bereits am 1. 4. 1991, also nach etwas mehr als zehn Jahren, in Kraft. Der Rhythmus beschleunigte sich, allein in diesem Jahrhundert traten acht Revisionen in Kraft.[2] Neu dazu kommen die zahlreichen und massiven Änderungen gemäss Referendumsabstimmung vom 3. März 2013.[3]

Selbstverständlich ist rechtlich und demokratisch zulässig, was hier geschieht, und trotzdem: Das RPG ist ein typisches Rahmengesetz, welches den Vollzug zumindest bisher weitgehend den Kantonen überliess. Es statuierte eine allgemeine Baubewilligungspflicht, die Pflicht der Kantone zum Erlass von Richt- und Nutzungsplänen und regelte einzelne Angelegenheiten selbst, insbesondere das Bauen ausserhalb der Bauzone.

Mit jeder Änderung des Bundesrechts gehen massive Neuorganisationen und Angewöhnungsphasen einher, der Schreibende schätzt in der Praxis für die Umsetzung eine Dauer von mindestens fünf Jahren.[4] Selbstverständlich ist zulässig, was als neues Bundesrecht zustande gekommen ist und wie das geschah. Der Rhythmus der Änderungen steht aber in keinem Verhältnis zur benötigten Zeit für die Umsetzung.

Das führt zu einer Situation des dauernden Umbruchs, mit entsprechend grossen Reibungen, Frustrationen und der erforderlichen Klärung, für die wiederum mehrere Jahre vergehen müssten bis zu den entsprechenden Entscheiden der letzten Instanz in Lausanne.

Der Gesetzgeber hat weise und umsichtig zu handeln. Um für diese Gelassenheit etwas Druck aufzusetzen, wird vorgeschlagen, dass die beiden Kammern unseres Parlaments jedes Mal kein Taggeld erhalten, wenn sie ein Bundesgesetz vor Ablauf von fünf Jahren seit Inkrafttreten oder der letzten Revision erneut ändern.

Die neueste, noch nicht in Kraft getretene Revision enthält richtige Neuerfindungen. Sie beginnen bei den Planungszielen und -grundsätzen (Art. 1 und 2), gehen über eine obligatorische Mehrwertabschöpfung (Art. 5) zu den Grundlagen (Art. 6) und neuen Minimalinhalten der kantonalen Richtpläne (Art. 8). Gleichzeitig erfolgt neu eine Förderung der Verfügbarkeit von Bauland (Art. 15a), eine Privilegierung von Solaranlagen bei der Baubewilligung (Art. 18a) und eine weitere, neue Regelung der Erschliessung (Art. 19).

Das neue Recht ist ohne Wenn und Aber umzusetzen. Das ändert nichts am dringenden Wunsch an das Parlament, den Revisionsrhythmus ebenfalls mit zu planen.

Die Ereignisse erinnern mich an ein vor Jahren von Unbekannt über Nacht an die Tür eines militärischen Kommandopostens angeschlagenes Plakat: Operative Hektik verdeckt geistigen Stillstand.

Fussnoten

  1. Prof. Dr. Alain Griffel, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Zürich, in der NZZ vom 8. Februar 2013.

  2. Massiv waren insbesondere die Revisionen vom 23. 3. 2007, 17. 12. 2010 (dieser indirekte Gegenvorschlag zur Zweitwohnungsinitiative wurde durch die Annahme letzterer im Wesentlichen erneut überholt) und 23. 12. 2011 (Erweiterung der Besitzstandsgarantie für Bauten ausserhalb der Bauzone, insbesondere RPG Art. 24 c).

  3. Vergleich: Geltendes und revidiertes Raumplanungsgesetz in www.ja-zum-raumplanungsgesetz.ch/vergleich-geltendes-rpg-neues-rpg

  4. Eine Bestätigung findet sich in Art. 38a der Referendumsvorlage vom 3. März 2013: Gemäss RPG Art. 38a passen die Kantone innert fünf Jahren nach Inkrafttreten ihre Richtpläne an die Anforderungen des neuen Bundesrechts an. Diese Frist wird erzwungen mit der Auflage, dass bis zur Genehmigung dieser Richtplananpassung durch den Bundesrat die Fläche der rechtskräftig ausgeschiedenen Bauzonen insgesamt nicht vergrössert werden darf (Abs. 2).

Artikel speichern

pdf (112 KB)

Artikel teilen

Share