Kinderanwalt
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Privatrecht

Kinderanwalt

Im Scheidungsprozess der Ehegatten M. ist unter anderem die Zuteilung der elterlichen Sorge über den gemeinsamen Sohn S. strittig. Beide Elternteile beantragen je für sich die alleinige elterliche Sorge. S. ist 12-jährig und fühlt sich betreffend Ehescheidungsverfahren seiner Eltern im Stich gelassen. Wie werden die Rechte von S. gewahrt und wie wird sichergestellt, dass auch die Sicht von S. in das Verfahren zwischen den Eltern einfliesst?

Der folgende Artikel befasst sich mit den Rechten von Kindern in familienrechtlichen Prozessen (exemplarisch Ehescheidung), insbesondere mit dem sogenannten Kinderanwalt. Gleichzeitig wird auf die Ausdehnung dieser Kinderrechte in Verfahren vor der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) verwiesen.

Gesetzliche Grundlagen

Art. 12 der UN-Kinderrechtskonvention:

«Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äussern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife. Zu diesem Zweck wird dem Kind insbesondere Gelegenheit gegeben, in allen das Kind berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden.»

Art. 11 BV[1]:

«Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit (…). Sie üben ihre Rechte im Rahmen ihrer Urteilsfähigkeit aus.»

Art. 146 f. alte Fassung ZGB[2] / Art. 299 f. ZPO[3]:

«Das Gericht ordnet wenn nötig die Vertretung des Kindes an (…). (…) Stellt das urteilsfähige Kind Antrag auf eine Vertretung, so ist diese anzuordnen.»

Art. 314a bis ZGB:

«Die Kindesschutzbehörde ordnet wenn nötig die Vertretung des Kindes an (…).»

Anordnung eines Kinderanwalts und deren Ziele

Um die Interessen von S. zu wahren, steht im Scheidungsverfahren der Ehegatten M. die Anordnung eines Kinderanwalts im Vordergrund. Ziel einer solchen gerichtlichen Massnahme ist es, dem 12-jährigen S. eine neutrale Ansprechperson zur Seite zu stellen. S. soll in das Ehescheidungsverfahren seiner Eltern gebührend einbezogen werden. Die Entscheidungen der Eltern resp. des Gerichts sollen für S. verständlich werden und er soll nachvollziehen können, weshalb man eventuell nicht auf seine Wünsche eingeht.

Aufgaben des Kinderanwalts

Aufgabe des Kinderanwalts ist es, dem Gericht die Sicht von S. vorzutragen und zu vermitteln. S. erhält von seinem Anwalt alle erforderlichen Informationen und Erklärungen zu den möglichen Folgen der Standpunkte und/oder Meinungen, welche er selbst vertritt. Der Kinderanwalt wird S. über seine Rechte und den Ablauf des Verfahrens sowie sämtliche Entscheide des Gerichts aufklären, ihn zu seinen Anliegen befragen und allenfalls Auskünfte bei den Eltern, weiteren Bezugspersonen oder den involvierten Fachstellen einholen. S. soll mit der Unterstützung seines Anwalts seinen eigenen Willen erkennen und mit Hilfe des Anwalts die dazu erforderlichen Anträge an das Gericht stellen können.

Der Kinderanwalt ist lediglich S. verpflichtet; nicht den Ehegatten M. und auch nicht den Behörden. Allfällige Konflikte zwischen den Ehegatten sollen soweit möglich entschärft werden. Durch das klare Vortragen der Anliegen von S. durch dessen Anwalt sollen die Eltern erkennen, worum es eigentlich geht. Die Rechte und das Wohlergehen des Kindes rücken so wieder in den Vordergrund.

Ausbildung des Kinderanwalts

Beim Anwalt von S. handelt es sich um einen Spezialisten. Er ist in Kinderrechten und den damit verbundenen Themen geschult und bewandert. Er ist in der Lage, mit S. auf dessen Verständnisebene zu kommunizieren und ist verpflichtet, sich regelmässig und umfassend fortzubilden.

Finanzierung des Kinderanwalts

Da sich S. per Gesetz nicht zu Honorarzahlungen verpflichten darf, muss die Kindesvertretung über das Institut der sogenannten unentgeltlichen Rechtspflege abgewickelt werden. Das entsprechende Gesuch wird vom Anwalt von S. an das für die Scheidung der Ehegatten M. zuständige Gericht gestellt. Es ist sicherzustellen, dass die Honorierung des Kinderanwalts dessen Unabhängigkeit nicht in Frage stellt.

Ausweitung der Kinderrechte auf das Kindesschutzverfahren

Mit der aktuellen Revision des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts[4] erhalten Kinder und Jugendliche nun auch in Kindesschutzverfahren Zugang zum Rechtsinstitut des Kinderanwalts. Ein solcher kann den Kindern und Jugendlichen neu auch durch die Kindesschutzbehörde zur Seite gestellt werden.

Fussnoten

  1. Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV; SR 101)

  2. Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (ZGB; SR 210)

  3. Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (ZPO; SR 272)

  4. Eingefügt durch Ziff. I 2 des Bundesgesetzes vom 19. Dezember 2008 (Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht), in Kraft seit 1. Januar 2013 (AS 2011 725; BBl 2006 7001)

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