Eigentum und Bestandesschutz bei öffentlichen Ersc...
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Öffentliches Recht

Eigentum und Bestandesschutz bei öffentlichen Erschliessungsanlagen im Kanton Bern

Grundstücke in der Bauzone müssen durch das zuständige Gemeinwesen erschlossen werden. Dies beinhaltet in aller Regel die strassenmässige Erschliessung, die Wasserversorgung, die Abwasserbeseitigung sowie die Energieversorgung. Die Eigentumsabgrenzung und Bestandessicherung von Erschliessungsanlagen gibt – wie die aktuelle Rechtsprechung zeigt – immer wieder zu Diskussionen Anlass. Der nachfolgende Artikel orientiert sich an der Rechtslage im Kanton Bern.

Allgemeines zur Eigentumsabgrenzung

Wer Eigentum an Erschliessungsanlagen hat, trägt in der Regel deren Unterhalt und haftet als Werkeigentümer für Schäden, welche infolge fehlerhafter Anlage oder mangelnden Unterhalts entstehen (Art. 58 OR). Gleichzeitig kann die Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Eigentum an Erschliessungsabständen über Bauabstände und die baurechtliche Ausnützung des Grundstücks (Strassenabstände, Leitungsabstände, Baulinien, Reduktion anrechenbare Grundstücksfläche) entscheiden. Der Eigentumsabgrenzung kommt daher eine zentrale Bedeutung zu.

Ausgang der Eigentumsabgrenzung ist das Zivilgesetzbuch (ZGB). Gemäss Art. 642 Abs. 2 ZGB gilt alles, was mit einem Grundstück fest und dauernd verbunden ist, als Bestandteil desselben und fällt damit grundsätzlich in das Eigentum des entsprechenden Grundeigentümers (Akzessionsprinzip, Art. 642 Abs. 2 ZGB). Die feste Verbindung mit dem Grundstück ist bei Erschliessungsanlagen in aller Regel gegeben (mit Ausnahme vielleicht von Freileitungen).

Ausnahmen vom Akzessionsprinzip bedürfen einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage. Solche Ausnahmen finden sich sowohl im Zivilrecht (z.B. Baurechte) als auch in öffentlich-rechtlichen Erlassen (zum Vorbehalt des kantonalen öffentlichen Rechts: Art. 6 Abs. 1 ZGB; zu öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkungen: Art. 702 ZGB).[1]

Zivilrechtliche Grundlagen

Für Leitungen sieht Art. 676 ZGB ein Sondereigentum zugunsten der erschliessenden Werke vor: «Leitungen zur Versorgung und Entsorgung (. . .) gehören, wo es nicht anders geordnet ist, dem Eigentümer des Werks und zum Werk, von dem sie ausgehen oder dem sie zugeführt werden». Damit das Akzessionsprinzip gestützt auf diesen Artikel durchbrochen wird, setzt das Bundesgericht die Errichtung einer entsprechenden Dienstbarkeit auf dem fremden Grundstück voraus.[2]

Für Strassen sieht das Bundeszivilrecht keine gesetzliche Ausnahme vor. Eine solche drängt sich bei Strassen als äusserlich sichtbaren Erschliessungsanlagen auch weniger auf. Die Eigentumsabgrenzung bei Strassen richtet sich vorwiegend nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften.

Das Bundeszivilrecht lässt schliesslich weitere privatrechtliche Konstruktionen zur Durchbrechung des Akzessionsprinzips zu. So kann eine Strasse oder eine Leitung auch als Baurechtsdienstbarkeit ausgestaltet werden (Art. 675 und Art. 779 ZGB). Ein solches Baurecht kann in Form eines selbstständigen und dauernden Rechts auch als Grundstück ins Grundbuch aufgenommen werden (Art. 655 Abs. 2 Ziff. 2 und 3 ZGB).

Öffentlich-rechtliche Grundlagen

Für Rohr-, Telekommunikations- und Elektrizitätsleitungen sehen spezialgesetzliche, bundesrechtliche Bestimmungen Sondereigentum der  versorgenden Unternehmen vor (Art. 32c RLG, Art. 37 Abs. 1 FMG, Art. 15a ELeG).

Die Abwasserentsorgung und Wasserversorgung ist vorwiegend eine kantonale Aufgabe. Aber auch kantonale oder gar kommunale Erlasse sehen Eigentumsvorschriften vor.

Die zentrale Abgrenzungsnorm findet sich in Art. 106 ff. BauG (unter dem Vorbehalt spezialgesetzlicher Bestimmungen). Unterschieden wird zwischen Basis-, Detailerschliessung und Hauszufahrt bzw. -anschluss. Detailerschliessungsanlagen gehen nach ihrer Erstellung von Gesetzes wegen (d.h. ohne Vollzug im Grundbuch) unentgeltlich in das Eigentum der Gemeinde oder eines besonderen Erschliessungsträgers über (Art. 109 Abs. 2 und 4 BauG). Hauszufahrten oder -anschlüsse verbleiben (mangels anderslautender gesetzlicher Regelung) dahingegen im Eigentum des jeweiligen Grundeigentümers. Hauszufahrten oder -anschlüsse verbinden ein Gebäude oder eine zusammenhängende Gebäudegruppe mit dem öffentlichen Erschliessungsnetz (Art. 106 Abs. 3 BauG). Von einer zusammenhängenden Gebäudegruppe wird mithin unter folgenden Bedingungen gesprochen: Arealüberbauung mit gemeinsamer Zufahrt, gemeinsamen Parkplätzen und internen Verbindungen, die weitgehend nur aus Fusswegen bestehen.[3]

Art. 106 ff. BauG gilt nicht nur für die Strassenerschliessung, sondern auch für die übrige Erschliessung, d.h. insbesondere auch für Leitungen. Bei Leitungen bleibt aber die besondere Gesetzgebung vorbehalten und zu beachten (Art. 106 Abs. 2 BauG). Die Spezialgesetzgebung im Leitungsrecht orientiert sich aber nicht selten an der Abgrenzung zwischen Detailerschliessung und Hausanschluss in Art. 106 ff. BauG.[4]

Bei altrechtlichen Strassen und Leitungen ist bei der Eigentumsabgrenzung besondere Vorsicht geboten. Die vorstehende Unterscheidung zwischen Detailerschliessung und Hausanschluss und die entsprechende Zuweisung des Eigentums kennt der Kanton Bern erst seit der Einführung des Baugesetzes im Jahr 1971. Bei altrechtlichen Leitungen sind die damals geltenden kantonalen und kommunalen Spezialerlasse heranzuziehen, um das Eigentum an den Erschliessungsanlagen zu ermitteln.[5] Liegt das Erstellungsdatum der Erschliessungsanlagen sehr weit zurück, können sich die Sachverhalts- und Rechtsabklärungen als äusserst anspruchsvoll erweisen. Finden sich keine entsprechenden Spezialerlasse, greift das Akzessionsprinzip und der jeweilige Grundeigentümer hat Eigentum an den auf seinem Grundstück liegenden Erschliessungsanlagen, dies mit teilweise schwerwiegenden Konsequenzen (Unterhalt, Haftung).

Die Fülle unterschiedlicher öffentlich-rechtlicher und zivilrechtlicher Erlasse als mögliche Rechtsgrundlagen zur Eigentumsabgrenzung sowie die Problematik bei altrechtlichen Anlagen fördert die Rechtssicherheit nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass in der Vergangenheit die Anmerkung von öffentlich-rechtlichem Eigentum an Erschliessungsanlagen im Grundbuch teilweise nur ungenügend vollzogen wurde. Es fehlt an der gewünschten Publizität für die betroffenen Grundeigentümer. Ob öffentlich-rechtliche Kataster (Leitungskataster, ÖREB-Kataster usw.) Abhilfe schaffen werden, wird sich zeigen.

Bestandessicherung der Erschliessungsanlagen auf fremdem Boden

Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Eigentumsfrage von der Bestandessicherung der Erschliessungsanlagen abzugrenzen.

Werden Strassen durch das Gemeinwesen oder zumindest in dessen Auftrag erstellt, sind diese von Gesetzes wegen dem Gemeingebrauch gewidmet (Art. 13 Abs. 1 und 2 SG). Schwieriger ist die Abgrenzung bei Privatstrassen, d.h. bei Strassen, welche auf privatem Grundeigentum liegen. Folgende, in Art. 13 Abs. 3 SG verankerte Widmungstatbestände machen auch Privatstrassen zu öffentlichen Strassen (Privatstrassen im Gemeingebrauch): a) Verfügung der Gemeinde, wenn der Grundeigentümer zustimmt, b) Errichtung einer Wegrechtsdienstbarkeit zugunsten der Öffentlichkeit, c) Übertragung der Unterhaltspflicht an die Gemeinde. Mit der Widmung ist die Zweckbestimmung und Nutzung der Strasse zugunsten der Öffentlichkeit gesichert.

Bei Leitungen, welche über weite Teile unterirdisch verlaufen, kommt der Bestandessicherung auf fremdem Boden zentrale Bedeutung zu. Die Spezialgesetzgebung sieht für die Bestandessicherung mithin die Errichtung einer zivilrechtlichen Dienstbarkeit oder den Erlass einer Überbauungsordnung vor (z.B. für die Wasserversorgung, Art. 21 Abs. 1 WVG, für die Abwasserentsorgung Art. 28 Abs. 1 KGSchG i.V.m. Art. 21 Abs. 1 WVG, vgl. auch die entsprechenden kommunalen Musterreglemente der BVE für die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung). Für die Bestandessicherung grösserer Werkleitungsnetze von Gemeinden und Gemeindeverbänden empfiehlt sich das Instrument der Überbauungsordnung. Ein solches Vorgehen kann sich auch bei bestehenden Leitungsnetzen anbieten, deren Bestandessicherung uneinheitlich und/oder lückenhaft ist. Die damit genehmigte Linienführung kann zu Publizitätszwecken im Grundbuch angemerkt werden (Art. 21 Abs. 4 WVG).

Die Art der Bestandessicherung (zivilrechtlich oder öffentlichrechtlich) ändert nichts an der Qualifikation als öffentliche Erschliessungsanlage. Wird die Leitung mittels Dienstbarkeit im Bestand gesichert, kommen z.B. trotzdem die öffentlichrechtlichen Abstandsvorschriften kommunaler Abwasseroder Wasserversorgungsreglemente zum Tragen.[6]

Fazit

Die Abgrenzungsfragen betreffend Eigentum an öffentlichen Erschliessungsanlagen sind vielschichtig und anspruchsvoll. Die Folgen der Eigentumszuweisung sind mit Blick auf die damit verbundene Unterhaltspflicht und die Haftungsrisiken einschneidend. Sowohl betroffenen Grundeigentümern als auch den erschliessenden Gemeinwesen wird in solchen Fällen juristischer Beistand empfohlen.

Fussnoten

  1. Vgl. auch BGer 1C_565/2014 vom 11. Mai 2015 E. 2.1 f.

  2. BGE 121 III 448 E. 3a S. 452; Urteil des VGer BE vom 15. März 2004, VGE 21744 E. 3.1; BSK-REY/STREBEL, N 14 zu Art. 676 ZGB.

  3. Urteil VGer BE vom 12. Februar 2019, Nr. 100.2018.55, E. 3.2, in: BVR 2019/6 S. 271.

  4. Vgl. z.B. Muster kommunales Abwasserentsorgungsreglement der BVE, Stand 2012, Art. 6 Abs. 1 und 4: «Die Leitungen der Basis- und Detailerschliessung [. . .] sind öffentliche Leitungen» [. . .] «Die öffentlichen Leitungen verbleiben zu Eigentum, Unterhalt und Erneuerung der Gemeinde».

  5. Vgl. Urteil VGer BE vom 12. Februar 2019, Nr. 100.2018.55U, E. 3.2.

  6. Vgl. Urteil VGer BE vom 7. Dezember 2018, Nr. 100.2017.317, E. 5.6, in: BVR 2019/4 S. 169.

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