Entzug des Führerausweises - eine Übersicht
Seitenbeginn

Strafrecht

Entzug des Führerausweises - eine Übersicht

Welche Arten von Ausweisentzügen gibt es? Wie kann man sich gegen eine Administrativmassnahme wehren? Mit welcher Entzugsdauer ist zu rechnen? Dieser Artikel bietet einen Überblick über den Entzug des Führerausweises

Motoradfahrer A. überholt ein vor im fahrendes landwirtschaftliches Fahrzeug. Die Strecke ist übersichtlich und es naht kein entgegenkommendes Fahrzeug. A. sieht sich verleitet, ordentlich Gas zu geben, was von den geschwindigkeitsmessenden Polizeibeamten hinter dem nächsten Brückenpfeiler nicht unbemerkt blieb. Nach Abzug der Sicherheitsmarge wurden 106 km/h gemessen bei erlaubten 80 km/h. Die Beamten teilten A. mit, dass sie bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Anzeige erheben werden.

Ein paar Wochen später erhält A. einen eingeschriebenen Strafbefehl, mit welchem er zu einer empfindlichen Busse verurteilt wird. Kaum davon erholt liest A. wenig später ein Schreiben des Strassenverkehrsamtes (Administrativbehörde), wonach im zusätzlich ein Ausweisentzug drohe und er die Gelegenheit habe, zu dieser Massnahme Stellung zu nehmen. A. stellt sich folgende Fragen:

Welche Art von Ausweisentzug droht?

Unterschieden wird zwischen Sicherungs- und Warnungsentzügen. Der Warnungsentzug ist eine strafähnliche Massnahme und soll den Fahrzeugführer inskünftig zu mehr Sorgfalt und Verantwortung im Strassenverkehr anhalten. Der Sicherungsentzug bezweckt dahingegen, dass Lenker, welche aus medizinischen, charakterlichen oder anderen Gründen zum Führen eines Fahrzeugs ungeeignet sind, nicht am Verkehr teilnehmen. Warnungsentzüge sind befristet während Sicherungsentzüge unbefristet ausgesprochen oder zumindest mit einer Sperrfrist verbunden werden.

Falls die Administrativbehörde keine Zweifel an der verkehrsmedizinischen oder -psychologischen Fahreignung von A. hegt, wird es sich vorliegend mit grosser Wahrscheinlichkeit um einen Warnungsentzug handeln.

Läuft ein Warnungsentzug zusätzlich zur Busse nicht auf eine doppelte Bestrafung für das gleiche Delikt hinaus?

Art. 4 Abs. des 7. Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention sieht ein Doppelbestrafungsverbot vor. Dieser Grundsatz wurde auch in Art. 11 Abs. 1 der Schweizerische Strafprozessordnung verankert.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) äusserte sich unlängst kritisch über die Kombination von strafrechtlichen Sanktionen mit einem Warnungsentzug. Das Bundesgericht hielt jedoch an seiner bisherigen Rechtsprechung fest und befürwortet diese Strafen-Kumulation auch im Lichte des Grundsatzes des Doppelbestrafungsverbots (BGE 137 I 363). Es muss somit nach wie vor davon ausgegangen werden, dass auf eine strafrechtliche Sanktion zusätzlich eine Administrativmassnahme in Form einer Verwarnung oder eines Ausweisentzugs folgen kann.

Wie kann A. sich gegen eine Administrativmassnahme wehren?

Es muss unterschieden werden, ob die Sachverhaltsfeststellung (Geschwindigkeitsmessung, Person des Fahrzeuglenkers, usw.) beanstandet wird oder die rechtliche Würdigung (leichte oder schwere Wiederhandlung, Dauer des Ausweisentzugs, usw.). Um widersprechende Urteile zu vermeiden ist die Administrativbehörde, welche den Ausweisentzug anordnet, was den Sachverhalt angeht grundsätzlich an die Feststellungen der Strafverfolgungsbehörden gebunden und darf ohne ernsthafte Gründe nicht von diesen abweichen. Erwächst das Strafurteil oder der Strafbefehl in Rechtskraft, ist es kaum mehr möglich, den zugrundeliegenden Sachverhalt im Administrativverfahren zu korrigieren. Es ist daher ratsam, allfällige Einwände bereits im Strafverfahren geltend zu machen.

Hat nun A. das Gefühl, die Geschwindigkeitsmessung sei nicht korrekt, müsste er sich gegen den Strafbefehl zur Wehr setzen. Gegen Strafbefehle muss innert 10 Tagen ab dessen Zustellung Einsprache erhoben werden (Achtung: Strafbefehle gelten am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als zugestellt, wenn die Postsendung nicht abgeholt wird). Nach Erhebung der Einsprache können bei der Staatsanwaltschaft Akteneinsicht verlangt und geeignete Beweisanträge gestellt werden. Kommt die Staatsanwaltschaft zum Schluss, dass entgegen der ersten Annahme keine Wiederhandlung vorliegt, wird sie den Strafbefehl gegen A. aufheben und das Verfahren einstellen. In diesem Fall wird in der Regel auch die Administrativmassnahme entfallen. Hält die Staatsanwaltschaft am Strafbefehl fest, wird die Angelegenheit an das zuständige Regionalgericht zur Beurteilung überwiesen.

Bei der rechtlichen Würdigung sind die Administrativbehörden nicht an den Befund der Strafverfolgungsbehörden gebunden. Ist A. mit der (abweichenden) rechtlichen Würdigung der Administrativbehörden nicht einverstanden (z.B. einer zu langen Entzugsdauer im Vergleich zur Schwere der Widerhandlung), sollte er dies im Rahmen einer Stellungnahme geltend machen. Folgt die Behörde seiner Auffassung nicht, kann er gegen die Verfügung des Strassenverkehrsamts Beschwerde erheben (im Kanton Bern vor der Rekurskommission für Massnahmen gegen Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführer).

Mit welcher Entzugsdauer hat A. zu rechnen?

Bei Geschwindigkeitsüberschreitungen ist die Rechtsprechung unterdessen so dicht, dass sich die Behörden in der Regel an Leitlinien orientieren, welche aus folgender Tabelle ersichtlich sind (ausgehend davon, dass kein Widerholungsfall vorliegt).[1]

A. hätte im vorliegenden Fallbeispiel somit mit einer Entzugsdauer von mindestens einem Monat zu rechnen.

Dieser Artikel wurde erstmals im Clubmagazin des ACS Sektion Bern Ausgabe 03/2015 veröffentlicht.

Artikel teilen

Share